Brauchen wir noch Bargeld?
Ja

ÜBERFLÜSSIG Am 23. September kommt ein neuer Zehn-Euro-Schein in Umlauf. Dabei kann man längst an jeder Kasse mit Karte und bald auch mit Smartphone zahlen

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Anke Domscheit-Berg, 46, ist Autorin und Mitglied der Piratenpartei

Wir leben in einer Zeit, in der Daten über uns überall verfügbar sind, gesammelt und ausgewertet werden. Von Unternehmen, damit sie uns noch besser ihren Kram vertickern können, und von Geheimdiensten, damit wir besser manipulierbar und erpressbar sind. Dabei interessiert nicht nur, mit wem wir telefonieren und worüber oder mit wem wir uns im Internet vernetzen und über was wir uns dort austauschen, sondern auch was wir kaufen, wo und von wem. Kreditkartendaten ermöglichen die Erstellung umfassender Persönlichkeitsprofile. Wer heute anonym shoppen möchte, der sollte Bargeld dafür benutzen, das hinterlässt keine Datenspuren. Und ganz nebenbei kann man mit Bargeld auch spontan einem Obdachlosen eine Zeitung abkaufen oder einer U-Bahn-Musikerin einen Obolus in den Instrumentenkasten werfen.

Dirk Müller, 45, Börsenmakler und Buchautor, wurde als „Mr. Dax“ bekannt

Die Abschaffung des Bargeldes käme einem Ganovenstück gleich. Geldscheine und Münzen sind per Gesetz die einzigen legalen Zahlungsmittel. Geld auf Girokonten und elektronische Zahlenschiebereien sind stets nur die Übertragung von legalen Zahlungsmitteln – eben Münzen und Scheine. Die durchaus reizvolle Möglichkeit, elektronische Zahlungen auch mit Kleinstbeträgen über Smartphones zu ermöglichen, darf keinesfalls zu einer Abschaffung von Bargeld führen. Es muss dem Bürger zwingend selbst überlassen bleiben, ob er auf elektronischem Wege Ansprüche überträgt oder mit klingender Münze bezahlt. Schon ein alter Reim besagt: „Nur ungern nimmt der Handelsmann statt barer Münze ‚Dreck‘ an !“ Die letzte verbliebene Möglichkeit, Zahlungen an der Ladentheke zu leisten, ohne dabei ins Fahndungsraster von „Big Brother“ zu rücken, muss dem freiheitsliebenden Bürger zwingend erhalten und dem Gesetzgeber ein hohes Gut bleiben.

Georg Fahrenschon, 46, ist Präsident des Deutschen Sparkassenverbands

Die Frage nach der Zukunft des Bargelds ist nicht neu. Das hat mehrere Gründe: Es gibt schon lange schnellere, bequemere und günstigere Zahlverfahren als Bargeld. Trotzdem halten die Deutschen an Münzen und Scheinen fest, im letzten Jahr wurden immer noch knapp 54 Prozent der Umsätze im Handel bar bezahlt. Heute brauchen wir also noch das Bargeld, auch wenn sich die bargeldlosen Alternativen wachsender Beliebtheit erfreuen.

Hannah Rössler, 18, ist taz-Leserin und hat die Frage per E-Mail kommentiert

Ein Werbespot der Europäischen Zentralbank: Der neue Zehn-Euro-Schein, ein Muss für jedes Portemonnaie! Falten Sie ihn zu niedlichen Tiermotiven, um Ihrem Geldgeschenk Kreativität zu verleihen, nutzen Sie ihn als Notizzettel, wenn Sie über Ihr Handy gerade virtuell keine Gedanken festhalten können, und falls Ihr Twitteraccount mal nicht funktioniert, können Sie damit sogar wichtige Posts in Umlauf bringen. Sie wollen den süßen Sparkassenmitarbeiter wiedersehen? Kein Problem, zahlen sie am Schalter Geld ein und schreiben Sie ihm eine Nachricht auf einen Schein. Vielleicht finden Sie bei der nächsten Abhebung seine Telefonnummer auf einer Ihrer Banknoten. Sichern Sie außerdem Ihr Erspartes zwischen Büchern und freuen Sie sich, wenn Sie es nach Jahren zufällig wiederfinden. Am Ende ist doch nichts schöner, als wie Dagobert Duck in einer Wanne voll Geld zu baden. Probieren Sie es aus!

Nein

Hans Eichel, 72, ist SPD-Politiker und war von 1999 bis 2005 Finanzminister

Technisch gesehen brauchen wir kein Bargeld mehr. Und ich vermute auch, dass nach und nach sowohl Banken wie auch Handel zu bargeldlosen Zahlungsmitteln übergehen werden. Deswegen glaube ich, dass Banknoten und Münzen ein Auslaufmodell sind. Ich persönlich finde das schade, weil sich dadurch auch unser Umgang mit Geld ändert. Wenn man einkaufen geht und bar bezahlt, dann sieht man nochmal ins Portemonnaie und hat einen Überblick darüber, wie viel Geld man die Woche schon ausgegeben hat. Das überlegte Umgehen mit Geld wird also nachlassen und insbesondere für viele Leute, die sich in wirtschaftlichen Dingen nicht so gut auskennen, in privater Verschuldung enden. Einen positiven Effekt allerdings hätte es, wenn man nur noch mit Kreditkarte bezahlen würde: Geldströme wären nachvollziehbar und es wäre nicht mehr möglich, Steuern zu hinterziehen.

Arnulf Keese, 47, ist Deutschland-Chef der Firma Paypal, einem Online-Bezahlsystem

Wir wissen schon heute, dass die meisten Menschen in Deutschland gerne auf ihr Portemonnaie verzichten würden. Das ist technologisch bereits möglich, aber alternative Bezahlmöglichkeiten werden heute noch nicht überall angeboten. Bargeldlose Bezahlwege, beispielsweise per Smartphone, sind weniger risikoreich und machen Bargeld überflüssig, denn die Vorteile liegen auf der Hand: Geld am Bankautomaten vom Konto abzuheben und ein dickes Portemonnaie mit sich herumzuschleppen ist unsicher und wir werden es uns zukünftig sparen können. Auch Händler haben ohne Bargeld weniger Aufwand und ganz neue Möglichkeiten, ihre Kunden anzusprechen. So können sie Kunden per Smartphone über aktuelle Verkaufsaktionen informieren. Die Verbreitung bargeldloser Bezahlmöglichkeiten wird das Einkaufen überall einfacher machen. Deshalb werden wir in Zukunft immer weniger Bargeld und schließlich gar keines brauchen.

Joerg Platzer, 47, ist Kryptoökonom und Bitcoin aktzeptierender Barbetreiber

Nein, natürlich nicht und ja, selbstverständlich. Münzen und Geldscheine brauchen wir nicht mehr, seitdem es digitales Bargeld wie Bitcoin gibt. Das gewohnte Bargeld ist nicht nur bakterienbelastet und teuer in der Herstellung, es wird auch, wie jedes staatliche Geld in der Geschichte, in die Wertlosigkeit inflationiert. Natürlich brauchen wir Bargeld in irgendeiner Form. Wie sollten sich sonst Menschen ohne Bankkonto Essen kaufen? Wie könnten wir uns ohne anonymes Bargeld im ausufernden Überwachungsstaat einen Rest Privatsphäre bewahren? Die Lösung: digitales Bargeld. Es bietet so viel Anonymität wie das gewohnte und man braucht kein Konto. Es lässt sich schnell und ohne Mittelsmänner weltweit an jeden Menschen transferieren. Das ist das, was wir brauchen.

Georg Füchsle, 49, ist taz-Leser und hat die Frage per E-Mail kommentiert

Oft wird die Anonymität des Bargelds als Vorteil gesehen, dabei ermöglicht diese erst Geldwäsche, Korruption und Kriminalität. Buchungsgeld ist nicht anonym. Jede Transaktion kann rekonstruiert werden. Nur durch den Wandel in Bargeld wird Buchungsgeld wieder anonymisiert. Deshalb ist es Zeit für eine bargeldlose Welt, mit weit weniger Kriminalität. Aber man sollte das Buchungsgeldgeschäft nicht privaten Banken überlassen, sondern der Staat sollte jedem ab Geburt ein kostenloses Konto ohne Kreditfunktion bereitstellen!