Jagd auf die Teetrinker

AUS ESSEN NATALIE WIESMANN

Mohammed Sobhe* möchte am liebsten seinen deutschen Pass wieder abgeben. „Von mir aus können wir die Einbürgerung abschaffen“, sagt der große schlaksige Mann libanesischer Herkunft mit verbitterter Miene. „Wir werden hier nie als Deutsche akzeptiert.“

Sobhe sitzt mit ein paar anderen Männern in einer Teestube in der Essener Innenstadt, unweit der Fußgängerzone. In der Straße reihen sich Internetcafés, Teestuben, Reisbüros und Imbissbuden aneinander, die meisten werden von Migranten betrieben. Die Straße ist nicht ganz so sauber wie die proppere Einkaufsmeile nebenan, die Häuserfassaden ein bisschen grauer – eine ganz gewöhnliche Straße, wie sie im Ruhrgebiet tausendfach zu finden ist. Doch hier bekommen die Geschäftsleute seit Anfang Februar mindestens einmal in der Woche Besuch von der Polizei. Erst kürzlich wieder haben zwei Beamte die Ausweise sämtlicher Gäste in der Teestube kontrolliert. Und die Registriernummern aller Handys überprüft.

Einmal angefangen, lässt sich Sobhe nicht mehr stoppen, redet sich in Rage: „Ich fühle mich hier wie im Gefängnis“, sagt er und zündet sich nervös eine Zigarette an, „bald haben sie mich so weit und ich gehe zurück.“ Die anderen Männer nicken zustimmend. Café-Besitzer Ali Harp*, ein Mann in den Vierzigern, drückt seinen Ärger im Soziologenjargon aus: „So entsteht doch erst die Parallelgesellschaft. Wenn die Migranten vom Staat schlecht behandelt werden, ziehen sie sich erst recht zurück“, sagt er, während er an seinem braunen Blazer zupft.

Die Polizei interessiert sich für diese Befindlichkeiten nicht. Sie hat die gesamte nördliche Innenstadt zum „gefährlichen Ort“ erklärt. Nach dem nordrhein-westfälischen Polizeigesetz sind so Kontrollen auch ohne konkreten Anlass möglich. Zunehmende Rauschgift- und Gewaltkriminalität habe sie zu den drastischen Maßnahmen veranlasst, sagt Sprecher Thomas Himmelmann. „Wir jagen keine Libanesen, sondern Straftäter“, sagt er. Im Herbst 2006 habe sich dort eine Bürgerinitiative gebildet, ihre Mitglieder fühlten sich „nicht mehr sicher“. Parallel hätten Kaufleute in der Gegend einen eigenen Quartiersmanager engagiert, um das Image der nördlichen Innenstadt aufzupolieren.

Dass die Libanesen aus dem Viertel weggeekelt werden sollen, glaubt vor allen Michael Wehner. Der 45-jährige Historiker und alteingesessene Essener ist der einzige deutschstämmige Gast in der Teestube. „Ich habe soooo eine Krawatte“, sagt er und hält sich demonstrativ die Hand an den Hals. Neulich wurde er im libanesischen Internet-Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite selbst Opfer einer Leibesvisitation – aber nur weil er die Polizei gefragt hat, warum sie sich gezielt die Nichtdeutschen vorknöpft. „Ich könnte als Deutscher unbehelligt mit Waffen oder Drogen in der Tasche herumlaufen, die würden mich doch nie anhalten“, sagt er. Er glaubt, dass die Stadtverwaltung die Libanesen drangsaliert, um die Stadt sauber zu kriegen, „für die Kulturhauptstadt 2010.“

Eine steile These. Plötzlich fährt ein grüner Mannschaftswagen vor und hält vor dem gegenüberliegenden Internet-Café. Alle Teestuben-Gäste springen auf und schauen rüber: „Sehen Sie, ich habe es Ihnen gesagt, die sind ständig hier“, sagt Harp.

Heute ist aber keine Razzia angesagt. Der Beamte will im Internetcafe eine Rechnung von 40 Cent begleichen – schuld daran ist Wehner: „Ich habe Beschwerde eingelegt“, sagt er und grinst. Denn bei der gestrigen Kontrolle hatten die Polizisten Papiere eines Libanesen kopiert, ohne sie zu bezahlen. „Es geht nicht um die 40 Cent, es geht ums Prinzip“, so Wehner. Dem älteren Mann hinter der Theke, Samir Boudi*, geht es um etwas anderes: „Die haben mich schon drei Mal nach dem Ausweis gefragt“, sagt er, „sie müssen doch langsam wissen, wer ich bin“, regt er sich auf und schwingt sein braunes Gebetskettchen durch die Luft. Die Zahl der Gäste im Internetcafe sei um die Hälfte gesunken seit hier ständig die Polizei auflaufe.

Der Beamte nutzt die Anwesenheit der Presse, seine Arbeit in ein gutes Licht zu rücken: „Wir wollen niemanden diskriminieren, wir machen hier nur unseren Job.“ Er und seine Kollegen hätten den Auftrag, die nördliche Innenstadt unter Kontrolle zu bringen. „Es geht um Hehlerei, sexuelle Belästigung und Rauschgift“ sagt der blonde Endvierziger und setzt hinter seiner eckigen silbernen Brille einen staatstragenden Blick auf. „Mehr darf ich nicht sagen, ich bin ja nur ein kleiner Streifenpolizist“, nimmt er sich im nächsten Moment wieder zurück. Sein Auftrag, das könne er aber mit Sicherheit sagen, richte sich nicht gegen Einwanderer und schon gar nicht gegen Libanesen: „Wir behandeln alle gleich.“

Eine Aussage, die sich sofort widerlegen lässt. Der deutsche Besitzer einer kleinen Pommes-Bude um die Ecke hat noch keinen Besuch von der Polizei erhalten. Auch im benachbarten Comicladen musste die Besitzerin noch nie ihren Ausweis oder ihr Handy vorzeigen. Ab und zu sehe sie den Einsatzwagen vorbeifahren, mehr nicht. „Die haben doch gar nicht das Personal, alle Läden zu kontrollieren“, sagt die 50-Jährige. Sie wisse nicht viel über die Kriminalität in diesem Viertel, „aber ich könnte mir schon denken, dass die hier nicht umsonst patrouillieren.“ Im Gothic-Laden nebenan war die Polizei schon. Haben sie Kontrollen durchgeführt? Besitzer Uwe Rexer schüttelt seine langen grau-blonden Haare: „Die haben hier bloß was gekauft.“

In der griechischen Konditorei hat die Polizei bei ihrem letzten Besuch nichts gekauft. „Die haben hier einen unserer Kunden kontrolliert“, sagt Nikolaos Tziouvaras, der an diesem Tag hinter der Theke stand. Er habe ja Verständnis dafür, dass die Polizei „Verbrecher jagen“ müsse, aber „hätten sie den Mann nicht nach draußen bitten können?“ Tziouvaras befürchtet, dass so die anderen Kunden abgeschreckt würden. Auch bei Patrique Goba, Betreiber eines weiteren Internet-Cafés im Viertel, war die Polizei vier oder fünf Mal innerhalb eines Monats. „Ich habe viele Kunden verloren“, sagt der junge Mann aus dem Sudan. Etwas gefunden hätten die Beamten in seinem Café nicht. „Ich weiß nicht einmal, was die suchen.“

Polizei-Sprecher Himmelmann zählt auf, was seine Kollegen im Zeitraum von sechs Wochen gefunden haben: 14 mal sei etwas sichergestellt worden, „meistens Handys, oder auch mal eine Waffe“. 13 mal haben sie Rauschgift gefunden – „eher kleine Mengen an Cannabis“. Insgesamt seien bei den über 1.000 Kontrollen seit Jahresbeginn 200 Straftaten und Ordnungswidrigkeiten wie Rauschgifthandel, Diebstahl und Körperverletzungen aufgedeckt worden, so Himmelmann. Bei den Ordnungswidrigkeiten sind etliche Verkehrsdelikte wie „Falschparken oder Ähnliches“ inbegriffen.

Wehner findet das Gebaren der Polizei lächerlich. Früher, weiß der Historiker, habe das Viertel einen viel schlimmeren Ruf gehabt: Vor 20 Jahren standen die Prostituierten auf der Kastanienallee. Der Besitzer der Kneipe, in der Wehner damals Billiard spielte, stand ständig mit einem Bein im Kittchen. Sein Rausschmeißer wurde 1986 in der Kneipe erstochen – und das war nicht der einzige Mord in der nördlichen Innenstadt in diesen Jahren. „Damals war die Polizei nie zu sehen“, sagt Wehner. „Und heute haben wir für Falschparker sogar einen Quartiersmanager.“

Mittlerweile gibt die Polizei offiziell zu, dass sie gemeinsam mit der Stadt vor allem libanesische Straftäter sucht. Die Kontrollierten reagierten oft ungewöhnlich aggressiv, ein Beamter sei angegriffen worden, sagte der zuständige Polizeihauptkommissar Dietmar Jensen am Wochenende. Die Maßnahmen würden aber fortgesetzt, so Jensen. „Der Essener Norden darf nicht zum rechtsfreien Raum werden.“

* Namen geändert