„Eine Verhöhnung der Opfer“

Ludwig Baumann hat Günther Oettinger angezeigt: Der Sprecher der Opfer der NS-Militärjustiz erklärt, wieso dessen Reinwaschung von Blutrichter Filbinger zur Geschichtspolitik der Union passt

LUDWIG BAUMANN, 85, als Deserteur 1942 zum Tode verurteilt. Gründer und Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz.

Interview von: BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Baumann, Sie haben gegen Günther Oettinger Strafanzeige gestellt – wegen Beleidigung?

Ludwig Baumann: Ja, das habe ich. Es ist für uns natürlich viel mehr, als eine Beleidigung. Es ist eine schamlose Verhöhnung. Aber ich glaube, es gibt das nicht als Straftatbestand.

Was erhoffen Sie davon?

Natürlich wollen wir, dass Herr Oettinger bestraft wird. Es ist ja keine private Beleidigung, sondern eine unglaubliche Verhöhnung unserer Opfer. Wir haben ja eine ganz andere Betroffenheit: Ich bin zum Beispiel auch von einem Marinerichter zum Tode verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hat 1995 klargestellt, dass die Wehrmachtsjustiz „eine Blutjustiz“ war und die Richter wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen hätten bestraft werden müssen: Einer dieser Blutrichter war eben Filbinger. Diese nachträgliche Reinwaschung ist für uns, die Betroffenen, die selber verurteilt waren, ganz unerträglich. Das macht mich krank.

Aber wie verhält sich die Staatsanwaltschaft?

Wir haben schon einmal geklagt, vor drei Jahren: Zu Filbingers 90.Geburtstag hatte ihm der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Erwin Teufel, einen rauschenden Empfang in Schloss Ludwigsburg gegeben – und dabei gesagt: „Herr Filbinger, ich bewundere Ihr klares juristisches Denken.“ Die Klage wurde hier von der Staatsanwaltschaft angenommen. Das ist ja schon nicht selbstverständlich: Bei geringfügigen Sachen verweisen die dann auf den Weg der Privatklage. Aber dann hat der Staatsanwalt in Stuttgart das Verfahren eingestellt.

Das ist auch diesmal ein wahrscheinlicher Ausgang…

In Bremen habe ich die Hoffnung, dass nicht eingestellt wird. Die Staatsanwaltschaft nimmt das auf und muss das weiterleiten. Nur ist ein Staatsanwalt ja kein unabhängiger Richter: Gegen den eigenen Ministerpräsidenten Anklage zu erheben ist schwierig. Aber wir hoffen, dass es dazu kommt.

Die moralische Bewertung des Falls Filbinger war einmal einhelliger: Ist die Oettinger-Grabrede Symptom eines kollektiven Rückfalls?

Rückfall? Ich glaube, das ist ein bewusst in Gang gesetzter Trend – dass eben nicht mehr die deutschen Verbrechen als beispiellos in den Geschichtsbücher stehen sollen, sondern zumindest eine Gleichsetzung mit dem Unrecht an Deutschen im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert wird. Und dass dieses in zehn, fünfzehn Jahren auch im Vordergrund stehen soll. Das ist für alle NS-Verfolgten, auch für den Zentralrat der Juden, ganz deutlich.

Dann überrascht es Sie nicht, dass sich Leute wie der Bremer CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp auf Nachfrage nicht von Oettinger distanzieren?

Nein: Der Filbinger war doch in der CDU bis zum Tod hoch angesehen, in Baden-Württemberg war er sogar Ehrenvorsitzender der Partei. Das wäre er auch in Bayern oder Sachsen gewesen. Und wie die Bremer CDU damit umgegangen wäre, möchte ich nicht entscheiden. Was sich da artikuliert, ist im Grunde diese Neubewertung, die wir immer schon befürchten. Wenn wir uns nicht dagegen wehren, wird die auch eintreten.

Wie wehren Sie sich?

Durch unsere Zeitzeugenschaft. Wir müssen das Bewusstsein dafür wecken und entschieden dafür kämpfen, dass das nie vergessen wird, nie gleichgestellt, nie relativiert. Es ist wohl so, dass der Zeitgeist nicht immer auf unserer Seite ist. Aber das heißt nicht, dass wir das akzeptieren sollten.