Die erstaunliche Welt der neuen TCM-Mütter

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das „Brot & Schokolade“ in Charlottenburg ist Treff für Akademikerinnen im Time-out-Modus

Ein einfacher weißer Kaffeebecher beinhaltet zwischen Plastikdeckel und Pappboden viel mehr als nur Kaffee und Milch. Ein Kaffee „to go“ auf dem Weg ins Büro sagt: „Seht her, die hier geht zur Arbeit und fühlt sich gut.“ Die biedere Tchibo-Hausfrauen-Welt liegt emotional weit weg.

Dann aber kommt auch schon oder endlich das Kind und mit Café latte tall vom Einstein ist es erst mal vorbei. Stattdessen sehen die TCM-Sachen von Tchibo plötzlich zwar noch immer nicht gut aus, aber praktisch. Sie sind plötzlich genau das, was man braucht, ob Kinderstrumpfhose oder Wagenheber.

Das „Brot & Schokolade“ in Charlottenburg ist nicht Tchibo, doch die TCM-Mütter mögen es trotzdem. Da der Laden nicht viel größer ist als ein Fotofix-Automat, parken sie ihre Kinderwagen vor der Tür, sich selbst gleich mit und nehmen den Kaffee aus der Porzellantasse. Die meisten Buggys sind eben leider noch nicht mit einem Becherhalter ausgestattet. Auf dem Bürgersteig fließt Rotz, dazwischen röchelt ein Mops aus der Hundeboutique von nebenan. Die TCM-Mütter, meist Akademikerinnen im Time-out-Modus, haben sich, begünstigt durch diverse Geburtsvorbereitungs-, Pekip- oder Rückbildungskurs, zur örtlichen Stillmafia organisiert.

Jede Bank am See fest im Griff, jedes Gerüst an den Spielplätzen unter Kontrolle, hält sie vor dem „Brot & Schokolade“ informelle, spontane Treffen ab und berät, welches Restaurant in der Nachbarschaft wegen seiner Kinderfeindlichkeit sofort sanktioniert werden muss. Auch kann man nirgendwo sonst am See so einen guten Milchkaffee trinken und dabei mit anderen über zweifarbige Kinderwagen lästern – ein absolutes Fashion-no-go. Georg, seit September neuer Besitzer des „Brot & Schokolade“, erträgt das Prolaktin-geschwängerte Geschwafel mit seiner ruhigen Art stoisch, weiß er doch, dass sein sympathisches Café zum Liebling der Nachbarschaft avanciert ist. Glücklicherweise hat Georg nicht nur den Laden, sondern auch die Kuchen- und Keksrezepte vom Vorgänger übernommen.

Der Möhrenkuchen mit Zimtdressing entfaltet beim Verzehr verschiedene Geschmäcker, mal Zimt, mal Lebkuchen oder Nuss, bleibt dabei saftig. Das sahnige Eis kommt vom Eisbären an der Kantstraße, die Torten von Timm’s, die Schokolade aus Italien. Viel häufiger würde man anhalten und zum Spaziergang Kaffee mitnehmen, wenn nur nicht die eine Hand schon am Telefon klebte, und die andere am Kinderwagen. Vielleicht gibt es ja bald den Universalbecherhalter für den Kinderwagen von TCM, der Kaffee käme aber weiterhin von Georg.

CAFÉ BROT & SCHOKOLADE, Steiffensandstr. 7, 14057 Berlin, U-Bahn Sophie-Charlotte-Platz, Mo–Sa 11–17 Uhr, So 12–17 Uhr, Latte Macchiato 2,30 €, Möhrenkuchen 2,10 €