die taz vor 8 jahren über die schießerei an der columbine-schule von littleton
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Wir wissen schon alles: Die Schießerei in Littleton, Colorado, ist Ausfluß der amerikanischen Waffenvernarrtheit sowie eine Folge der Gewaltfilme. Sie ist Ausdruck des latenten Rassismus und ein Verzweiflungsschrei der Kids gegen die Anonymisierung und Konkurrenzdruck. Gewalt ist die Antwort auf eine Welt, in der die Spiel- und Freiräume von Jugendlichen verloren gegangen sind. Jede Schießerei in einer Schule bestätigt vorgefaßte Urteile. Schlußendlich schleicht sich noch die klammheimliche Freude darüber ein, daß die Gewalt just jenes Land heimsucht, das so gewaltbereit zu sein scheint – als seien die Schüsse von Littleton die Rache des Weltgeistes für die Bomben auf Belgrad und Novi Sad.

Doch: Gewalt an Schulen ist weder ein amerikanisches Phänomen noch ein Novum der Moderne. Nur ihr Ausmaß wächst mit der Beschleunigung des Lebenspulses und dem Wachstum von Bevölkerung und besiedeltem Raum, von Nachrichtenübermittlung und Kommunikation. In der Tat, Amerikas Schulen werden jedes Jahr größer. Die USA, das einzige Industrieland mit Bevölkerungswachstum, bezieht den größten Teil seiner nachwachsenden Generation aus Immigration, und das Wachsen der suburbanen Schulzentren geht auf Binnenmigration zurück.

Das sind Probleme der Moderne, mit denen Amerika früher konfrontiert wird als andere Länder. Manche Versuche, Gewalt einzudämmen, muten skurril an. Gleichwohl wird in vielen Schulen „sensitivity training“ betrieben, werden Rassenkonflikte zum Unterrichtsgegenstand gemacht und Konfliktmanagement geübt. Wichtiger als das schnelle Urteil über solche Katastrophen wie die von Littleton ist die Überprüfung der Erfahrungen, die bisher beim ziemlich erfolgreichen Versuch gemacht wurden, sie zu verhindern. Während die Schießerei von Littleton Schlagzeilen macht, sinkt die Zahl der Gewalttaten an Amerikas Schulen.Peter Tautfest, taz vom 22. 4. 1999