Freischwimmer in Integration

Im „Koordinierungsrat für Muslime“ fehlen die engagierten muslimischen Frauen DAS SCHLAGLOCH von HILAL SEZGIN

Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin und Schafsschererin in Barnstedt.

Eigentlich wäre es eine prima Gelegenheit, die Sache insgesamt mal neu zu regeln: das Verhältnis von Staat und Kirche, pardon: Religionsgemeinschaften. Man könnte Deutschland einen neuerlichen Säkularisierungsschub verpassen, nach dem keine Steuergelder mehr vom Staat für Kirchen eingezogen würden und nach dem die Kinder in den Schulen über sämtliche Religionen so breit und unparteiisch unterrichtet würden wie über Kant und Hegel oder die Ozeane.

Aber die Überlegung ist ja illusorisch. Nie würden die Kirchen ihre einflussreichen Plätze räumen, die muslimischen Wortführer haben vermutlich auch schon die Morgenluft der Macht gewittert; und so bekommen wir diesen „Koordinierungsrat der Muslime“, sehr zur Freude der Politik. Deren legitimes Interesse an einem verbindlichen Ansprechpartner ist verständlich; und doch, uns weniger orthodoxe Muslime setzt gerade dieser Aspekt unter Zugzwang.

Die Schwierigkeiten sind bekannt: Wie können wir dafür sorgen, dass auch wir „angesprochen“ werden? Sollen wir, deren Glauben sich nicht auf ein Dutzend Dogmen und hundert Regeln und Rituale zusammenfassen lässt, versuchen, uns ein Plätzchen innerhalb dieses Koordinierungsrates zu erkämpfen – oder direkt, innerhalb eines eigenen Unkoordiniertheitsrates, um die Gunst der Politik buhlen?

Besonders für uns muslimische Frauen bietet der Koordinierungsrat keinen ermutigenden Anblick. Denn es sind nämlich fast immer nur Männer zu sehen. Vieles davon nette, kluge, vernünftige Männern – und trotzdem. Nicht etwa, weil der Islam eine besonders patriarchale Religion sei, sondern ganz generell will ich überhaupt bei keiner Gruppe als Mitglied gezählt werden, deren Sprecher überwiegend Männer sind.

Wir haben Frauen in die Astas reinverpflichtet und weibliche Vorsitzende in Ortsvereine gewählt; in Büros und Redaktionen und wo immer wir arbeiten, bemühen wir uns, den Frauenanteil zu erhöhen. Nicht wegen irgendwelcher Quoten, sondern einfach, weil es auf Dauer nicht befriedigt, immer nur mit Männern Austausch zu haben und Männern zuzuhören – zumal sie selbst bei geringerer Gedankendichte oft so verdammt lang reden. Und jetzt soll das Ganze also in religiösen Angelegenheiten von vorne losgehen: wieder versuchen, irgendwelche Bekannte zu motivieren, sich durch Bürokratie und die Hierarchie der Aufmerksamkeitshascherei zu kämpfen? Na toll.

Natürlich sind einige muslimische Frauen oder „Islamkritikerinnen“, wie dieses neue Berufsbild gern genannt wird, in der deutschen Öffentlichkeit überproportional präsent. Es handelt sich um Frauen mit muslimischem Familienhintergrund. Doch der Islam ist eine Glaubens-, keine Abstammungsgemeinschaft. Wenn es um die Stimme der deutschen Muslime geht, kann es nicht angehen, dass etwa eine explizit nichtgläubige Necla Kelek, ohne von mir gewählt zu sein, für mich spricht. Wer selbst nicht (mehr) glaubt, darf gern über Muslime, oder für Ex-Muslime – nicht aber für Muslime sprechen, so wenig wie der als Baby getaufte Atheist für die Christenheit.

„Nur ein Ex-Muslim ist ein guter Muslim.“ Für die weiblichen Muslime gilt das offenbar ganz besonders

Doch wie Timothy Garton Ash es kürzlich ganz wunderbar formuliert hat, scheint man allgemein zu finden: „Nur ein Ex-Muslim ist ein guter Muslim.“ Für die weiblichen Muslime gilt das ganz besonders. Die weiblichen Ex-Muslime sind die allerbesten Muslime überhaupt. Jene eine im Speziellen hat jetzt die Gunst der Stunde genutzt, ein altes Thema erneut aufs Tapet zu bringen: die Teilnahme von Mädchen am Schwimmunterricht. Überhaupt ist das Schwimmen türkischstämmiger Mädchen des integrationsskeptischen Deutschen größte Sorge.

Nun ist die Fähigkeit zu schwimmen zweifellos eine große zivilisatorische Errungenschaft, und mein eigener Vater hat mich liebevoll ins Wasser des Marmarameers geschubst, kaum dass ich mich an Land fortbewegen konnte. Aber es ist doch nicht zu vergessen, dass in diesem Land Schulpflicht besteht, die das ansonsten recht freizügige Recht der Eltern auf Verkorksung ihrer Kinder zumindest etwas eindämmt.

Wenn unsere Pädagogen und Schulbehörden das Schwimmen-Können also für unerlässlich halten, sollen sie’s so in den Lehrplan aufnehmen, dass die Eltern fürs Fernbleiben oder Fernhalten ihrer Kinder genauso bestraft werden können wie im Fall des Mathematikunterrichts. Der Schulpflicht entspricht nämlich seitens der Kinder ein Recht, für unerlässlich gehaltene Dinge beigebracht zu bekommen, und zwar egal, ob die Eltern beim Lernen mithelfen können oder wollen oder ob nicht.

Man kann einer Religionsgemeinschaft bei ihrer Gründung aber nicht abverlangen, dass sie sich so und so zum Brustschwimmen verhält, selbst wenn übrigens gesetzlich geregelt wäre, dass es notwendig zum Bildungsauftrag der Schulen gehört. Abweichende Meinungen zu einzelnen Gesetzesinhalten sind in einer liberalen Gesellschaft erlaubt, solange das Bekenntnis zum Grundgesetz vorliegt. Man darf zum Beispiel einen Verein gründen, der für die Abschaffung der Schulpflicht insgesamt ist oder für eine andere Straßenverkehrsordnung oder was auch immer.

Und wir sind doch noch eine liberale Gesellschaft, oder? Ein Kopftuchverbot lässt natürlich anderes befürchten. Überhaupt lautet das zweite Lieblingsproblem der Antimultikulturalisten, ob man das Tragen von Burkas in der Schule oder im Beruf per Gesetz verbieten solle. Was für ein Unfug! Darf man denn im Bikini zur Arbeit erscheinen, im Cowboykostüm oder als Indianer? In Kleidungsfragen hat der Arbeitgeber innerhalb bestimmter, durch den gesunden Menschenverstand gut nachvollziehbarer Grenzen das Recht, mitzusprechen, so hat es unser wunderbares deutsches Justizsystem längst geregelt. Womit ich sagen will: Für all solche Fragen braucht man keine Extra-Integrationsproblematik-Gesetze. Die entsprechenden „Debatten“ markieren nur noch einmal marktschreierisch, dass durch die Einwanderung ungeahnte Probleme (zum Beispiel: störrische Eltern oder Differenzen in der Kleidungsfrage) in dieses Land eingedrungen seien, die eine Gewissenskontrolle vermeintlich unumgänglich machen.

Des integrationsskeptischen Deutschen größte Sorge ist das Schwimmen türkischstämmiger Mädchen

Unbeachtet von dieser Aufregung werden die strittigen Fragen rund um die Nicht-Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen von engagierten Praktikerinnen bearbeitet – teils deutschen, teils solchen mit Migrationshintergrund. Dort sind übrigens auch die muslimischen, gläubigen Frauen zu finden, die vielleicht daher keine Zeit hatten, sich für den Fototermin des Koordinierungsrates aufzustellen: in der Praxis.

In Vereinen, Beratungsstellen und Initiativen arbeiten sie als Therapeutinnen, Rechtsanwältinnen und Sozialarbeiterinnen; sie bündeln Kompetenzen und Erfahrungen, dass einem die Ohren schlackern, wenn man mal als Zaungast zu einer ihrer Fachtagungen eingeladen ist. Und wir müssen schleunigst nach einem Weg suchen, dass auch sie als Partnerinnen von Politik und Öffentlichkeit verbindlich „angesprochen“ werden.