Schule des neuen Lebens

Im Jahr 2016 werden Arbeitslose in der Sphericon-Schule für das einzig Wichtige im Leben gedrillt: den Arbeitsplatz. Thomas Ebermann bringt Joachim Zelters Roman „Schule der Arbeitslosen“ im Polittbüro auf die Bühne

Do, 19. 4. bis So. 22. 4., jeweils 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45

Thomas Ebermann ist nervös, aber das will er sich nicht anmerken lassen. Immerhin geht es um die größte Produktion, die er in seinen nunmehr über drei Jahren als Leiter der „Vers- und Kaderschmiede“ im Polittbüro auf die Bühne stellen will – und um eine Art Weltpremiere. Erstmals wird die „Schule der Arbeitslosen“ nach dem Roman von Joachim Zelter auf einer Bühne zu erleben sein. Die Literaturkritik lobt diesen Zelter als genialen Erzähler und bringt seinen 2006 veröffentlichten Roman gar in die Nähe eines Orwell oder Huxley.

Messerscharf, mit knapper aber umso präziserer Sprache erzählt Zelter in der „Schule der Arbeitslosen“ von Sphericon, einer fiktiven Schule im Jahre 2016, in der Arbeitslose „absolut freiwillig“ quasi militärisch gedrillt werden für das einzige wichtige Ziel im Leben: einen Arbeitsplatz. „Work is freedom“ ist das Leitbild dieser “School of Live“, in der die Trainees für drei Monate kaserniert werden, unter permanenter Lautsprecherberieselung stehen und Telefonate mit Verwandten nur nach 22 Uhr erlaubt sind. Sie lernen, dass Jobs nicht in Stellen-, sondern in Todesanzeigen zu finden sind; dass Bewerbungen und Lebensläufe nichts mit dem realen Leben zu tun haben: „Lebensläufe sind Fiktionen“, für die es „kombinatorischer Phantasie“ bedarf (alle Zitate aus dem Roman).

Wer nur ein wenig die entwürdigende und drangsalierende Wirklichkeit der gegenwärtigen Hartz-IV-Gesellschaft kennt, sich gar in letzter Zeit mit einer eigenen Bewerbung auseinandersetzen musste, der weiß, dass Zelter dicht an der Realität schreibt. Wer hat nicht schon beim Verfassen seines Lebenslaufs aus der negativen Arbeitslosigkeit etwas wie eine berufliche Neuorientierung konstruiert? Klingt irgendwie ja viel kreativer und engagierter. Düster sind auch die Möglichkeiten, sich dieser subtilen Gewalt zu entziehen. Karla, die sich nicht wie alle anderen Teilnehmer auf die einzige reale Stelle als Trainerin bewerben will, kommt – zu „ihrem eigenen Schutz“ – in Einzelhaft. Der arbeitslosen Verweigerin wird eingehämmert, sie sei ein „Mensch, dem alles Wesentliche fehlt“.

Seit Wochen laufen die Proben, Videos sind mit hohem Aufwand produziert worden. Mit Victoria Trauttmansdorff (Thalia-Theater) als Karla hat Ebermann eine hochkarätige Schauspielerin angeworben. Michael Weber und Dietmar Muess, Gustav Peter Wöhler, Gilla Cremer, Rocko Schamoni und Lisa Politt sind weitere Beteiligte.

Verwunderlich ist, dass Ebermann, altlinker Fundamentalist und „Meister der Negation“, wie Lisa Politt ihn gern lobt, sich ausgerechnet den DGB als Mitveranstalter ausgesucht hat. Dessen Arbeitsethos und Leistungsbegriff ist weder mit dem eines Ebermanns in Einklang zu bringen, noch hat er sich in der Vergangenheit besonders engagiert gegenüber Arbeitslosen gezeigt. Eine linke Forderung, wie die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ist für den DGB bis heute nicht vorstellbar. Darauf angesprochen druckst Ebermann denn auch rum. Diplomatisch nuschelt er, dass er sich freue, wenn sich der DGB nun auch mit dem Elend und der Gängelung der Arbeitslosen befasse. Nicht gerade ein klares Statement, wie man es sonst von ihm zu derartigen Fragen zu hören bekommt. Manchmal müssen auch die Kunst und ein Ebermann Realpolitik machen. In diesem Fall, um das spannende Stück von Zelter auf die Bühne zu bringen. Dirk Seifert