Angriff auf Tolo TV

Polizisten stürmen in Nacht-und-Nebel-Aktion einen der prominentesten afghanischen Fernsehsender

Dutzende Journalisten und Abgeordnete haben am Mittwoch vor dem afghanischen Parlament gegen eine gewaltsame Polizeiaktion in der Redaktion des Privatsenders Tolo TV demonstriert. Auch die Vereinten Nationen verurteilten den Polizeieinsatz und forderten eine Untersuchung des Falles.

In der Nacht zu Mittwoch hatten 50 Polizisten die Redaktion des in Afghanistan überaus populären Senders in Kabul gestürmt und drei Redakteure vorübergehend festgenommen. „Sie schlugen unsere Kollegen mit Gewehrkolben, bevor sie sie mitnahmen“, berichtete Tolo-TV-Mitarbeiter Massud Sandscher der taz. Die Beamten handelten auf Anordnung von Generalstaatsanwalt Abduldschabbar Sabet. Der Islamist mit US-Studienabschluss fühlte sich von Tolo TV falsch dargestellt.

Afghanische Journalisten beklagen seit Längerem, dass ihre neu gewonnene Freiheit von staatlicher Seite zunehmend wieder eingeschränkt werde. Bereits im letzten Jahr war es zu Protesten gekommen, nachdem Medienorganisationen eine angeblich vom Geheimdienst stammende Liste veröffentlichten, auf der den Reportern Regeln der Berichterstattung vorgegeben wurden. Auch der nächtliche Übergriff auf Tolo TV ist ein weiterer Fall im Kulturkampf zwischen Islamisten, die Medienfreiheit wieder einschränken wollen, und Verteidigern der durch die afghanische Verfassung garantierten Pressefreiheit. Die Islamisten führen diese Auseinandersetzung von einer Position der Stärke aus, da sie zunehmend einflussreiche politische Ämter besetzen. Sabet stammt wie der neue Informations- und Kulturminister Abdulkarim Chorram aus der Islamischen Partei (Hisb-i-Islami) des berüchtigten Mudschaheddin-Führers Gulbuddin Hekmatjar, die sich in zwei Flügel gespalten hat. Während Hekmatjar weiterhin bewaffnet Präsident Hamid Karsai und dessen ausländische Unterstützer bekämpft und dies als „Religionskrieg“ bezeichnet, kooperiert ein anderer Flügel – inzwischen als Partei registriert – mit der Regierung. Viele Afghanen befürchten, dass Hekmatjar eine Doppelstrategie fährt: militärischer Druck auf Kabul und „Unterwanderung“ der neuen demokratischen Institutionen.

Das prominenteste Opfer dieses Kulturkampfes war bisher der Direktor des staatlichen afghanischen Fernsehens und Radios (RTA), Nadschib Roschan. Der links eingestellte Roschan, der lange in Deutschland gelebt hat, war im Januar von seinem Amt zurückgetreten (die taz berichtete). Chorrams Ernennung zum Informationsminister hatte Roschans Reformkurs – er wollte mit Unterstützung durch die EU das Staatsfernsehen in eine öffentlich-rechtliche Anstalt umwandeln – immer mehr ins Stocken gebracht. SHIKIBA BABORI