Diaboliaden eines großen Romanciers

LITERATUR Michail Bulgakow ließ sich keinem politischen Lager zuordnen und war dennoch kritisch. Die Volksbühne würdigt eine Neuübersetzung seines Romans „Die verfluchten Eier“ mit Lesungen und Blasmusik

Alexander Nitzberg widmet sich mit der im Verlag Galiani erschienenen Neuübersetzung des Romans „Die verfluchten Eier“ zum dritten Mal einem Werk von Bulgakow. Es lesen u. a: Marion Brasch, Felicitas Hoppe, Jenny Erpenbeck und Katja Lange-Müller. Es spielt: Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot. Zuvor kann ab 18 Uhr im Halbstundentakt dem Hörspiel „Meister und Margarita“ gelauscht werden.

■ „Verfluchte Eier, Verfluchte Romane“: Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, 26. 9., 20 Uhr

VON JÖRG SUNDERMEIER

Als Michail Afanassjewitsch Bulgakow im Jahr 1891 in Kiew das Licht der Welt erblickte, konnte niemand ahnen, dass es alsbald keinen Zaren mehr geben werde und dass sich die Landkarte Europas drastisch verändern würde. Als er 23 war, wurde er in den Ersten Weltkrieg (als Militärarzt) geworfen. Er desertierte, schloss sich der Roten Armee an, dann den konterrevolutionären Weißen Garden, verblieb aber nach dem Sieg der Bolschewisten in Moskau und veröffentlichte zahlreiche Texte in Zeitungen – und auch in Publikationen des russischen Exils. Obschon er 1923 dem Allrussischen Schriftstellerverband beitrat, werden zunehmend Texte von ihm verboten, schließlich forderte er daraufhin von der politischen Führung der UdSSR, während die politische Verfolgung schon sprunghaft zunahm, ihm entweder die Emigration oder eine Arbeit als Regieassistent am Theater zu verschaffen. Das Wunder geschah – Stalin selbst rief Bulgakow an und setzte sich für ihn ein (was freilich nicht hieß, das Bulgakows Werke deswegen veröffentlicht werden konnten). Und es wurde offiziell eine Totenmesse des Schriftstellerverbands für den verfehmten Schriftsteller gegeben, der im März 1940 eines natürlichen Todes starb.

Das Meisterwerk Bulgakows allerdings, der Roman „Meister und Margarita“, dessen letzte Änderungen der Autor seiner Frau auf dem Totenbett diktiert hatte, blieb weiterhin unbekannt. Erst 1966 konnte eine verstümmelte Version des Textes in der Sowjetunion erscheinen, doch schon diese erwies Bulgakow als den wohl größten Romancier der Sowjetunion. Aber auch die weitaus kürzeren Bücher, „Das hündische Herz“ und „Die verfluchten Eier“, die gerade in einer gefeierten Neuübersetzung von Alexander Nitzberg im Verlag Galiani erschienen sind, haben es in sich.

Seine Szenarien sind historisch, doch sein Spott weiterhin treffend, weil verletzend

In den „Verfluchten Eiern“ etwa, einem Text, den Bulgakow seinen „Diaboliaden“ zuordnete, droht das Unglück gleich zu Beginn des Textes: „Es geschah am 16. April des Jahres 1928, gegen Abend: Der Zoologieprofessor der IV. Staatlichen Universität und Direktor des Moskauer Instituts für Tierkunde, Pfirsichow, betrat sein Kabinett im selbigen Institut, welches da steht in der Herzen-Straße. Der Professor entfachte oben die matte Kugel und sah sich um. Die Saat der entsetzlichen Katastrophe, so viel ist sicher, wurde gelegt am besagten unseligen Abend, und ihr Verursacher, auch so viel ist sicher, war besagter Professor Wladimir Ipatjewitsch Pfirsichow.“ Denn Pfirsichow entwickelt einen „Strahl“, dessen Auswirkungen schließlich dazu führen werden, dass Moskau von einer Armee von Echsen bedroht werden wird. Dass diese Satire bereits 1925 erscheinen konnte, obschon die darin enthaltene Kritik an der Sowjetunion mehr als deutlich war, ist ebenfalls sehr verwunderlich.

Nun gibt es, 90 Jahre nach dieser Erstausgabe, einen Abend zu Ehren Bulgakows, die bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot spielt, Alexander Nitzberg führt in die Texte ein (was er zuvor – mit anderen Schwerpunkten – auch schon im neu gestalteten Pavillon der Volksbühne getan hat), Jürgen Kuttner wird den Abend moderieren, und „Berliner Autoren“ (so die Pressemitteilung), die jedoch allesamt weiblich sind, werden lesen: Marion Brasch, Felicitas Hoppe, Jenny Erpenbeck, Katja Lange-Müller und Alina Bronsky. Der Titel ist sehr volksbühnentypisch: „Verfluchte Eier, verfluchte Romane“.

Das Wunder geschah: Stalin selbst rief Bulgakow an und setzte sich für ihn ein

So finden die großen, dissidenten und herausragend uneindeutigen Texte – Bulgakow ist keinem politischen Lager zuzuordnen – nun ihren Platz im Staatstheater, begleitet von einer Band, die die Farben der Revolte im Namen trägt. Ist das verwerflich? Wird Bulgakow geschändet? Ist seine Kritik perdu? Oder will sich das Theater gar mit seiner Hilfe repolitisieren? Das alles ist nicht der Fall.

Bulgakows Szenarien sind historisch, sie bedürfen heute mancher Erklärung, doch ist seine Aussage weiterhin aktuell, sein Spott weiterhin treffend, weil verletzend. Alexander Nitzbergs entschlackende Übersetzung hilft bei der Wiederentdeckung, auch wenn Nitzbergs Sprachverliebtheit ihn mitunter zu Wendungen zwingt, die falsch klingen. Und die Volksbühne selbst ist ja ein Ort, der den hiesigen Kulturfunktionären – ob zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt - selbst immer wieder missbehagt, weil sich die auf ihr austobenden AkteurInnen nicht einfach in eine Schublade sperren oder gar vor einen Karren spannen lassen. Daher ist an diesem Abend alles möglich: vom öden Spektakel bis zur hinreißenden Diaboliade – und allein darin liegt mehr Spannung als viele andere Bühnenabende zurzeit erzeugen können.