Der Tanz an der Wand

Bei den Norddeutschen Klettermeisterschaften geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern darum, Höhe zu gewinnen. Auch wenn das nicht zählt, soll die Kraxelei möglichst elegant und leichtfüßig aussehen. Insgesamt vier Wettbewerbe

Wer kennt nicht diese Neugier, irgendwo hochzuklettern, genießt oder scheut die süße Leere, die sich unter einem auftut und manchmal leise zum Springen auffordert? Es sind die bizarren bunten Knöpfe, die sich zurzeit an den Wänden von Schulen, Bunkern und Fitnessstudios ausbreiten, die diesen Nervenkitzel auch im Flachland ermöglichen und sogar eine Norddeutsche Sportklettermeisterschaft hervorgebracht haben.

Deren dritter Teil wurde am Sonnabend an der Hamburger Kletterwand des Alpenvereins ausgetragen. 40 Teilnehmer hatten vier Routen von elf Metern Höhe zu klettern, davon 9 Meter überhängend, zumindest die, die es bis ins Finale schafften. Denn nicht die Geschwindigkeit, sondern die erreichte Höhe entschied über den Erfolg. Wer im Vorfeld nicht hoch genug klettern konnte, flog raus.

Während Laien in der Kletterwand des Alpenvereins nur eine unregelmäßige Ansammlung von aneinandergesetzten dreieckigen, zum Teil überhängenden Holzplatten und darauf sitzenden bunten Dingern sehen, verbinden sich diese Knöpfe vor dem geistigen Auge der Kletterer zu einer Kür. Jede TeilnehmerIn muss vor der Wand, den Kopf in den Nacken gelegt, ihre eigene Route austüfteln.

In der Wand heißt es dann: Aufpassen, dass man leichtfüßig bleibt – nicht nur der vielen Zuschauer, sondern auch der eigenen Ansprüche wegen. „Es ist die richtige Kombination aus Körperbeherrschung, einem starken Kopf, Schnelligkeit und Kraft, die das Ganze erst elegant werden lässt“, sagt Verena Bleil, die Gewinnerin der Entscheidung. „Bist du erst mal im Bewegungsfluss, ist das wie ein Tanz.“

Die Nervosität ist natürlich trotzdem da. „Alles muss gleich im ersten Versuch klappen. Fallen die Teilnehmer schon ganz unten ins Seil, dann war’s das“, erläuterte Rolf Witt, einer der Hauptorganisatoren der Wettkampfreihe. „Unruhig war ich schon“, wird Benedikt Vogel, einer der Finalisten, hinterher sagen. „Doch irgendwann rückte das Drumherum aus meinem Blickfeld: Ich habe gar nichts anderes als das Klettern mehr zugelassen. Eine Art positiver Stress eben.“

Zudem war das Publikum mindestens genauso aufgeregt wie die TeilnehmerInnen. Denn etwa die Hälfte machte selbst mit: als Kletternde, OrganisatorInnen, HelferInnen. Es sind Insiderwettbewerbe, die fast nur jene in die Halle locken, die teilnehmen. Der Preis: Outdoor-Equipment für die ersten Plätze und die Chance, Norddeutscher Meister oder Norddeutsche Meisterin zu werden. „Dafür braucht man die Gesamtwertung aller vier Wettkämpfe“, sagt Christian Staack, einer der Teilnehmer.

Bei Frauen und Männern blieb die Entscheidung bis zuletzt offen: Mehrere SportlerInnen erreichten den letzten Haltegriff der Finaltour, so dass sich für die Erwachsenen erst im Superfinale, einem zusätzlichen Lauf, Verena Bleil und Ralf Kowalski als Gewinner herausstellten. Der Gesamtsieg ist aber noch offen: Nach Hildesheim, Hannover und Hamburg entscheidet der letzte Wettkampf in Sande, wer gewinnen wird. ANDREA KRETSCHMANN