Helfer als Zielscheiben

Die Kämpfe in Somalias Hauptstadt Mogadischu werden immer brutaler. Premier fordert zur Flucht auf

Seit dem Beginn neuer Kämpfe in Mogadischu im Februar sind von den rund 2 Millionen Einwohnern 321.000 geflohen, bilanzierte am Wochenende das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. 111.000 halten sich in den beiden Shabelle-Provinzen im direkten Umland von Mogadischu auf, 147.000 weiter nördlich. Die anderen haben sich nach Süden durchgeschlagen. D.J.

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

„Daryeel Bulsho Guud“ (DBG) ist Somalisch für „Hilfe für alle“. In Mogadischu bedeutet das: Keiner der verfeindeten Clans wird bevorzugt. Nur so überlebte bislang die lokale Partnerorganisation der deutschen evangelischen Hilfswerke Diakonie und Brot für die Welt. Als eine der letzten Hilfsgruppen, die im seit Wochen tobenden Krieg um Mogadischu noch aktiv sind, hatte DBG zuletzt Medikamente in Hospitälern verteilt.

Doch jetzt liegt das Büro der Helfer in Schutt und Asche. Mehrere Angestellte, unter ihnen vier Verletzte, harrten gestern nach mehr als 24 Stunden Dauerbeschuss mit Granaten noch in dem mehrstöckigen Gebäude aus, berichtete ein Mitarbeiter somalischen Journalisten. „Unsere Büros sind zerstört, unsere Generatoren sind zerstört, der Schaden ist riesig.“ Die im Gebäude gefangenen Kollegen können sich wegen der Bombardements nicht in Sicherheit bringen.

Die heftigen Kämpfe in den Straßen Mogadischus zwischen Äthiopiens Armee und islamistischen Untergrundkämpfern brachen am Mittwoch neu aus und dauerten gestern an. Am Samstag beschossen äthiopische Truppen unter anderem den größten Markt der Stadt im Baraka-Viertel mit Granaten. Augenzeugen berichten von verwesenden Leichen in den Straßen. Das Personal im Medina-Krankenhaus in Süden Mogadischus hat seit Mittwoch etwa 200 Tote gezählt.

In der Stadt befinden sich inzwischen nur noch Kämpfer, Helfer oder Männer, die ihr Haus und ihren Besitz bewachen wollen. Die anderen sind auf der Flucht. „Die Äthiopier wollen mich umbringen, weil ich Somali bin, und die Milizen wollen mich töten, weil ich nicht mit ihnen kämpfe“, sagte ein Bewohner am Wochenende hoffnungslos.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR schätzt die Zahl der Vertriebenen aus Mogadischu auf 321.000, manche Hilfswerke sprechen bereits von einer halben Million. Täglich kommen mehr hinzu. Diplomaten in Kenias Hauptstadt Nairobi berichten, das Umland Mogadischus sei so voller Menschen, dass selbst Schatten unter den wenigen Bäumen nur gegen Geld oder Lebensmittel zu haben sei. Auf eine Massenflucht dieses Ausmaßes war niemand vorbereitet. In Wajid im Süden Somalias etwa sind 1.000 Vertriebene notdürftig in einer Schule untergekommen, 500 andere kampieren in den Resten eines früheren Flüchtlingslagers. „Die meisten haben praktisch nichts mitnehmen können und brauchen außer Wasser und Nahrung auch Matratzen, Decken, Moskitonetze und Wasserkanister“, sagt Günter Grzybek vom Hilfswerk World Vision.

Cholera ist unter den Vertriebenen bereits virulent. „Wenn nicht schnell mehr geschieht, wird sich die humanitäre Krise zu einer Katastrophe ausweiten“, warnt Eric Laroche, der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Somalia. Er wirft der somalischen Übergangsregierung und den mit ihr verbündeten äthiopischen Trupen vor, Hilfslieferungen systematisch zu behindern, mit bürokratischen Auflagen und Straßensperren. „Wir haben versucht, deswegen mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, aber die ignorieren uns einfach.“

Dabei drängt die Zeit. Der größte Fluss der Region, die Shabelle, wird nach Regenfällen flussaufwärts in Äthiopien bald Hochwasser führen. Dann sind die Straßen zu den Flüchtlingen überschwemmt. Die Flugplätze werden derzeit nicht von den UN angeflogen, weil ihre Maschinen regelmäßig beschossen werden. Somalias Unicef-Chef Christian Balslev-Olsen verzweifelt, weil die Hilfsgüter nicht weit entfernt von den Flüchtlingen in Lagerhäusern in Mogadischu liegen. „Aber wegen der Kämpfe kommen wir da nicht ran.“

Somalias Übergangspremier Ali Mohammed Ghedi will von all diesen Problemen nichts wissen. „Die Kämpfe werden weitergehen, bis alle Terroristen tot sind“, sagte er am Samstag in einem Radiointerview. Auf Zivilisten könne dabei keine Rücksicht genommen werden: „Diejenigen, die sich noch in den Hochburgen der Islamisten befinden, fordere ich auf, die Stadt zu verlassen.“