Im Fadenkreuz digitaler Späher

Privatkameras bei McDonald‘s, Polizeikameras an jeder Straßenecke. In der Einkaufstadt Venlo ist Big Brother jedem und jeder auf den Fersen. Nichts entgeht den 20 elektronischen Wachhunden in der City. Im Juni wird noch aufgestockt. Die Polizei pocht auf Erfolge bei Fahndung und Prävention, frühere Bedenkenträger sind fast verstummt

AUS VENLO HENK RAIJER

Gedreht wird eine einzige Szene, nur die Hauptdarsteller wechseln ständig. Gleich am Eingang von „Mapo Schoenen“ am Venloer Nolensplein hängen drei Monitore unter der Decke. Insgesamt sieben Bildschirme haben die Lufthoheit in dem einstöckigen Abhollager für Schuhe und Taschen. Das zielt, wie Willkommensgrüße und Warnungen bezeugen, primär auf deutsche Kundschaft. „Wir schütze unsere Eigentummer“ und „Wer was klaut, sieht die Polizei!“ heißt auf großformatigen, farbigen Schildern neben den Monitoren die unmissverständliche Botschaft an die Klientel, die schon vor Betreten des Ladens von einer Kamera in Szene gesetzt wird.

Wer in Venlo einkaufen geht, ist immer und überall im Bild. Und das nicht nur bei C&A, McDonald‘s oder in einem der zahllosen Konfektionsgeschäfte auf der zentralen Einkaufsachse, wo Einzelhändler potenzielle Langfinger auf ihre hauseigene Überwachungstechnik hinweisen. Längst ist in Venlo Big Brother jedem und jeder auf den Fersen. Schon wer das Parkhaus im Zentrum der Grenzstadt verlässt, setzt sich einer Vielzahl digitaler Späher aus. 20 Videokameras behalten täglich 24 Stunden Kauf- und Vergnügungslustige in der City im Auge, weitere zehn zu je 25.000 Euro sollen im Juni installiert werden, die Entscheidung darüber und die Freigabe der Mittel hat der Stadtrat dem Bürgermeister überlassen.

Die neuen Geräte sollen drahtlos funktionieren und auch mühelos an anderer Stelle, etwa am Bahnhof, angebracht werden können, „wenn eine veränderte Sicherheitslage dies erfordert“, begründet die Stadt die jetzt avisierte Aufstockung zur Überwachung des öffentlichen Raums.

Unsicher muss sich in der 77.000-Einwohner-Stadt an der Maas angesichts dieses virtuellen Polizeiaufgebots niemand mehr fühlen, höchstens unangenehm durchleuchtet. „Je mehr Kameras, desto besser“, begrüßt einerseits Rita Meers aus Venlo die Entmutigungstaktik der Polizei. „Ich fühle mich schon seit Jahren nicht mehr sicher in der Stadt, überall Graffiti, Vandalismus, Straßendealer. Noch vor ein paar Tagen wurde mir mein Portmonee aus der Tasche geklaut, wahrscheinlich von einem deutschen Drogentouristen“, erzählt die rundliche Mittfünfzigerin, die tütenweise Gemüse vom Markt nach Hause schleppt. Roelof Denissen hingegen sieht die Bürgerrechte in Gefahr. „Da wird in eine Scheinsicherheit investiert und unser Land immer mehr zu einem Polizeistaat“, sagt der Pädagogikstudent aus dem benachbarten Roermond, der sich mit Freundin und Joint im Park niedergelassen hat und für ein paar Stunden die warme Frühlingssonne genießt.

Venlos Bürgermeister Hubert Bruls, der in dieser Frage lediglich dem Staatsanwalt Rede und Antwort schuldig ist, ficht derlei Einwand nicht an. Er beschied vor kurzem Kritikern, die auf Bürgerrechte und Privatsphäre pochten, lakonisch: „Sobald jemand sein Haus verlässt und auf die Straße tritt, entscheidet er sich unweigerlich dafür, eine öffentliche Person zu sein.“ Bürgermeister Bruls hat zunehmend leichtes Spiel. War polizeiliche Videoüberwachung vor gut sechs Jahren noch Gegenstand heftiger Grundsatzdebatten zwischen den Fraktionen im Rathaus, so haben die zunehmende Kriminalität einerseits und der erfolgreiche Einsatz von Kameras bei der Verfolgung von Straftaten andererseits dazu beigetragen, dass heute sogar Sozialisten und Grüne verstummt sind. „Sie befürworten die Videoüberwachung zwar nach wie vor nicht, aber sie werden sie auch nicht zu verhindern versuchen“, sagt Carina de Wijs, Sprecherin der Stadtverwaltung.

Auch die Bevölkerung signalisiert laut De Wijs inzwischen Zustimmung. „Die Kameraüberwachung wirkt präventiv, und das gibt den Leuten ein sicheres Gefühl in der Stadt“, behauptet sie. Auf die Frage, ob Videoüberwachung also potenzielle Delinquenten einschüchtere und von Straftaten abhalte, antwortet die Sprecherin der Stadt sibyllinisch: „Videokameras können Betrunkene, gewaltbereite Schläger oder Straßendealer letztlich nicht stoppen. Aber wir versuchen zumindest, diese Leute auf andere Gedanken zu bringen.“

Die ersten zwanzig Videokameras wurden im Jahre 2001 installiert, um der mit dem illegalen Drogenhandel einhergehenden Kriminalität in der Innenstadt Herr zu werden. Seither ist es in dem Teil der City erheblich ruhiger geworden, wenngleich das sicher auch auf die Schließung illegaler Verkaufsstellen und die Verlagerung des tolerierten Verkaufs von Haschisch und Marihuana an den Stadtrand zurückzuführen ist.

„Wir versuchen, diese Leute auf andere Gedanken zu bringen“ „Die müssen die Bilder schon verwenden, sonst ist das doch ein Witz“

Die Venloer Polizei sieht sich bestätigt, in 470 Fällen haben nach ihren Angaben im vergangenen Jahr die elektronischen Wachhunde zur Klärung von Straftaten beigetragen, darunter Diebstähle, Drogen- und Gewaltdelikte, mutwillige Zerstörungen und Schlägereien. In einigen Fällen hätten sie auch zur Festnahme von „illegalen Ausländern“ geführt, die auf diese Weise ins Bild der Öffentlichkeit gerückt worden waren. „Durch den Einsatz von Kameras können wir die Kollegen auf der Straße effektiver einsetzen“, erklärt Annemiek Mols, Pressesprecherin der Venloer Polizei. „Die Beamten können nun mal nicht überall gleichzeitig sein, sie haben aber durch die elektronische Unterstützung aus dem Präsidium die Möglichkeit, schnell und oftmals sogar präventiv einzugreifen.“

Zwar halten die in der Innenstadt installierten Kameras 24 Stunden täglich alles fest, was auf der Straße geschieht. Aber nicht alles wird auch „live“ angeschaut. „Der diensthabende Beamte im Präsidium ist für alle Monitore zuständig, er nimmt aber gleichzeitig andere Aufgaben wahr, guckt also nicht ständig auf die Bildschirme“, erklärt Polizeisprecherin Mols. Diese Polizisten hätten aber im Lauf der Zeit ein Gespür dafür entwickelt, wann „Unregelmäßigkeiten“ zu erwarten seien und schnell zu reagieren. „Außerdem haben sie die Möglichkeit, die Bänder zurückzuspulen, einen Sachverhalt oder Personen einzuzoomen, daraus ihre Schlüsse zu ziehen und ganz schnell eine Streife einzusetzen.“ Sollte sich erst später herausstellen, dass in einem bestimmten Abschnitt etwas passiert ist, könne die Polizei die Aufnahmen in Ruhe auswerten und auf dieser Basis eine Fahndung ausschreiben. Maximal vier Wochen darf das laut Polizei vertraulich behandelte Material aufbewahrt werden.

„Das glaubt doch niemand, dass sich bei der Polizei einer die Bilder anguckt“, sagt Alex Matthiessen aus Viersen. „Ständig passiert hier was um einen herum, Planzenkübel müssen dran glauben, überall wird Hasch vertickt und von Bullen weit und breit keine Spur“, sagt der beleibte Mittvierziger, der sich auf dem Weg vom Aldi zum Bahnhof eine Maxitüte Pommes mit Satésauce reinschaufelt. Nur indem man ein paar Kameras aufhänge, seien die Probleme nicht aus der Welt. „Die müssen die Bilder schon verwenden, sonst ist das Ganze doch ein Witz.“