Duell mit den Singvögeln

Opern-Superstar Anna Netrebko konkurriert in einem neuen Werbespot mit einem Vogel. Seit die Opernbühne Diven hervorbringt, gehören Tiere zu ihren Begleitern. Bei wem könnte eine singende Göttin auch sonst Beistand suchen?

VON ETHEL MATALA DE MAZA

Die letzte „Premiere“ Anna Netrebkos meldete der Wiener Standard erst vor wenigen Tagen. Die Sängerin ist neuerdings in einem kurzen Spot zu sehen, in dem sie sich mit einem kleinen Vogel in der Opernkulisse einen Wettstreit liefert. Das Duell entscheidet sich, als die Sängerin zur Flasche greift. Österreichische Biolimonade. Ein Schluck genügt. Dann sitzt jeder Ton. Der Vogel kapituliert und sucht eilends das Weite.

Anna Netrebko ist seit 2006 österreichische Staatsbürgerin und kann dank des neuen Passes künstlerische Freiheit und Reisefreiheit endlich miteinander in Einklang bringen. Anlass genug für einen Gefälligkeitsdienst, mit dem sie sich für das Entgegenkommen Österreichs revanchiert, indem sie das Wasser ihrer zweiten Heimat weiht.

Mit dem Loblied auf die ökologische Limonade setzt die Sängerin aus dem südrussischen Krasnodar aber auch in anderer Hinsicht Zeichen. Von den Fans, die ihr in aller Welt zu Füßen liegen, wird sie als Diva verehrt, und diesen Titel verdankt sie in erster Linie ihrer erotischen Faszinationskraft, der sich die männlichen Regisseure so wenig verweigern wollen wie die Fotografen. Der Künstlerin Anna Netrebko hat dieses Image in letzter Zeit mehr und mehr zu schaffen gemacht. Wer mit den Augen höre, so las man immer wieder, käme bei ihren Auftritten voll auf seine Kosten. Denen dagegen, die Ohren hätten, könne das schmale Ausdrucksspektrum ihrer schönen Stimme nicht entgehen. Der neue Werbeclip macht sich die Sache leicht, indem er das letzte Wort den Vögeln überlässt. Die Tiere verstehen ihr Geschäft und geben den vielen Anhängern recht, die Anna Netrebko als Königin der Oper feiern. Wer es jetzt noch wagt, die Sängerin vom Olymp der ewigen Göttinnen zu verstoßen, kann ihr wenigstens keinen schlechten Geschmack nachsagen. Mit dem Griff zur Biolimonade ist die Netrebko auf der Höhe der Zeit. Als Frau mit Anspruch setzt sie Standards der Exklusivität, hinter die keine der Diven der Gegenwart mehr zurückfallen darf.

Topmodels und Popstars wissen längst zu schätzen, was gut für die Form ist. Der weiblichen Opernkonkurrenz aber eilt Anna Netrebko mit ihrem Bekenntnis zur Wellness um Längen voraus. Was nicht heißt, dass sie die erste Operndiva wäre, die das Feld der Werbung nutzt, um Trends zu setzen und nebenbei am eigenen Mythos zu arbeiten. Schon zur Zeit des Fin de Siècle waren die Gesichter der großen Heroinen gefragt. Fabrikanten wie der Pariser Parfumhersteller Rigaud lancierten Marken, die die Namen bedeutender Sopranistinnen trugen. Eine dieser Größen war beispielsweise Geraldine Farrar, die 1908 an der New Yorker Met in Verdis „La Traviata“ brillierte und dort ein Jahr später auch als Tosca gefeiert wurde. Für das Haus Rigaud posierte die Sängerin auf einer Annonce in leuchtenden Pastellfarben, in goldenem Gewand und grünem pelzbesetzten Umhang, als majestätische Verkörperung des nach ihr benannten Dufts.

Eine andere Anzeige desselben Hauses zeigte die Operntragödin Mary Garden, einen Tiger an sich drückend, dem sie mit der Linken furchtlos ins Maul fasst, während die Rechte den Kopf krault und der durchdringende Blick der Sängerin die Leserschaft fixiert. „Parfum Mary Garden. Recognized as the leading perfume of today, so different to others that we know“, hieß es im begleitenden Text. Der Magie der fatalen Frau sollten nicht nur die Opernliebhaber verfallen, sondern auch die Raubtiere, die im Bann der Diva jeden Blutdurst vergaßen.

Seit die Opernbühne weibliche Ikonen hervorgebracht hat, gehören Tiere zu ihren festen Begleitern. Nicht von ungefähr sind sie Teil der Bilder, die von den Diven zirkulieren. Sie bezeichnen eine Artenvielfalt sterblicher Göttinnen, die sonst kaum entzifferbar wäre. Und immer sind die Tiere Verbündete auf einem Weg, den Zweifel, Missgunst und Eifersucht pflastern. Das gilt für Anna Netrebko und ihre Singvögel genauso wie für jene Diva, an der alle Operndiven sich messen lassen müssen: Maria Callas. Seit langem füllen die Fotos der Callas Bildband um Bildband, und alle Bilder – die Szenenfotos ebenso wie die Aufnahmen in Tonstudios, auf Flughäfen und in Cafés – zeigen sie als elegante Herrin ihrer Rolle. Keinem Paparazzo ist es je gelungen, einen Moment abzupassen, in dem der voyeuristische Blick die Diva gänzlich unvorbereitet trifft. Das Begehren, hinter die Pose zu blicken und den Schirm der Selbstkontrolle für eine winzige Sekunde zu zerstören, läuft unentwegt ins Leere. Und es scheitert, oft genug, am Widerstand des kleinen Pudels, den die Sängerin notorisch mit sich führt. Der zierliche Hund, der nie ohne wollenes Leibchen unterwegs ist, hält der Primadonna alle Lästigkeiten vom Leib. So schutzbedürftig er selber ist, so sehr stellt er sicher, dass sie auch da vor zudringlichen Bewunderern geschützt bleibt, wo sie sich unter Leute mischt. Zuweilen liefert er ihr mit seiner zarten Gesundheit sogar das nötige Alibi, wenn ihr nach Opernauftritten nicht zumute ist. An der Seite der Diva ist der Schoßhund die scharfe Waffe, die verhindert, dass man ihr zu nahe tritt. Eben weil ihm die Wildheit abgeht, die zum Bezwungenwerden herausfordert, gebietet er Rücksicht, Scheu und Respekt. Den Tigern und Löwen der Fin-de-Siècle-Heroinen ist er maßlos überlegen. Göttlicher können Göttinnen, die das Theater schuf, nicht werden.

Umso erstaunlicher ist es, dass die jüngste Hommage an das Zeitalter der Diva ganz ohne die Erwähnung der Callas auskommt. „The Age of the Diva“ lautet der Untertitel des Albums, das die amerikanische Sopranistin Renée Fleming erst im vergangenen Jahr eingespielt hat. Die Aufmachung des Albums – goldene Majuskeln auf dem Cover, ausgeblichene Künsterlerinnen-Postkarten im Beiheft – spricht für sich. Im selben Booklet findet man übrigens die beiden Parfum-Annoncen von Geraldine Farrar und Mary Garden wieder: als einzige Farbabbildungen in einer Porträtgalerie, die den Glanz früherer Bühnengrößen sonst nur in Schwarzweiß dokumentiert.

Die Designer des Ganzen haben den größten Aufwand getrieben, um über die Fotos einen gleichmäßigen Schleier des Vergilbten zu legen– auch die von Renée Fleming, die sich in entsprechender Retroästhetik über das Booklet verteilen. So rückt das Zeitalter der Diva in fernste Vergangenheit, und ein Abgrund zwischen dem Fin de Siècle und der Gegenwart unserer Tage tut sich auf, in dem das Bild der Callas ebenso verschwindet wie das der aktuellen Rivalin Anna Netrebko. Dennoch sind die beiden abwesenden Diven anwesend. Zumindest indirekt. Schließlich verdankt die Tradition, in die sich Renée Fleming einreiht, der Callas alles. Ohne deren Beharrlichkeit hätte der bel canto kaum ein Publikum, das sich für Hommagen noch interessierte. Geschweige denn für Arien, die man auf der Bühne lange nicht mehr hörte. Das Mariinskij Theater in Sankt Petersburg wiederum, an dem Renée Fleming ihre Arien aufnahm, ist das Haustheater Anna Netrebkos. Hier begann 1995 ihre steile Karriere, die sie an die Spitze der internationalen Häuser führte und ihr die Rollen in bewährten Zugstücken einbrachte, deren Bahnen sie bis heute nicht verlässt. Durch das Ausgraben von Raritäten stellt die Fleming dagegen ein anderes Selbstverständnis zur Schau. Souverän ist, wer sich den Luxus leistet, den Massengeschmack zu ignorieren.

Mit solchen subtil angemeldeten Geltungsansprüchen ist „The Age of the Diva“ selbst ein Zeugnis gewandelter Zeiten. Dass Diven sich offen angiften und wechselseitig beleidigen, ist heutzutage ebenso passé wie der Duft jener Wässer, für die Flemings Vorbilder posierten. Allerdings lassen sich die Diven von einst auf dem Umweg der Ehrung auch nicht so einfach beerben. Die schlichte Berufung auf alte Standards muss im Ansatz verfehlen, was Exklusivität ausmacht: „different to others that we know“.

Wie immer Anna Netrebko die Rolle der Manon Lescaut bewältigen wird, in der sie ab Sonntag an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin gastieren wird: Ihrem Nimbus als konkurrenzlose Diva wird das keinen Abbruch tun, solange sie hält, was sie in ihrem jüngsten Werbeclip verspricht. Dass sie das Duell mit Singvögeln sucht, statt sich in weiblichen Rivalitäten zu verzetteln, dürfte ihr die Gunst neuer Verehrer sichern. Das Zeichen, das sie mit ihrer Vorliebe für Biolimonade setzt, unterstreicht auf andere Weise, wie sehr ihr darum zu tun ist, einen neuen Typus der Diva zu prägen. Wenn überhaupt. Die Exklusivität, mit der sie auf der Limonade beharrt, ist jedenfalls eine andere als die der Parfums, auf die Geraldine Farrar und Mary Garden schwörten. Sie wird nicht dadurch entwertet, dass es wenig kostet, um an ihr teilzuhaben.

Die Autorin ist Literaturwissenschaftlerin an der Universität München