„Jungs fürchten um ihr Ansehen“

Jungen sollten mehr Frauenberufe wählen, fordert Girls’-Day-Koordinatorin Rieken

INGRID RIEKEN, 54, organisiert den „Zukunftstag für Mädchen und Jungen“ in Niedersachsen.

taz: Heute findet der siebte Girls’ Day statt, der Schülerinnen für Männerberufe begeistern soll. Sie veranstalten seit 2006 in Niedersachsen parallel einen „Zukunftstag für Mädchen und Jungen“. Brauchen wir auch einen „Boys’ Day“?

Ingrid Rieken: Auch die Jungen sollen an die sogenannten Frauenberufe herangeführt werden. Unser Ziel ist es, die sozialen und kommunikativen Kompetenzen der Jungen zu erweitern. Beim Zukunftstag achten wir deshalb darauf, dass die Jungen wirklich in typische Frauenberufe, etwa im Bereich Pflege und Erziehung, gehen.

Warum sind dort bisher so wenige Männer zu finden?

Da spielen Männlichkeitsbilder eine entscheidende Rolle. Man fürchtet um sein soziales Ansehen und seinen Status. Als Arzthelfer oder Sekretär entspricht man eben nicht dem männlichen Rollenbild. Viele Männer sehen sich immer noch als potenzielle Alleinernährer ihrer Familie – und sogenannte Frauenberufe sind nun mal oft sehr viel schlechter bezahlt.

Wie kann man diese Berufe für Jungen attraktiver machen?

Wenn erst mal mehr Männer in diesen Berufen beschäftigt sind, könnte sich auch das Bild davon verändern. In der Geschichte haben sich schon viele Berufe vom Frauen- zum Männerberuf und umgekehrt gewandelt. Schriftsetzer und Sekretär waren früher eindeutig Männerberufe. Heute hat sich das komplett verändert.

Warum ist es denn überhaupt notwendig, dass sich mehr Männer für einen Frauenberuf entscheiden?

Ich glaube, dass viele Männer ihre Fähigkeiten nur begrenzt ausleben können, wenn sie sich nur auf männliche Berufe konzentrieren. Außerdem wird man im pflegerischen und erzieherischen Bereich in Zukunft ohne männliche Fachkräfte nicht mehr auskommen.

Gibt es für die Jungen ein ähnlich großes Angebot wie für Mädchen?

Ja, aber für Jungen haben wir nicht den gleichen Service wie mit der Aktionslandkarte auf der Girls’-Day-Website für Mädchen. Bei der Suche nach Betrieben sind die Jungen noch viel mehr auf sich gestellt. Auf unsere Homepage haben wir ein paar Angebote gestellt, aber vermitteln können wir nicht. Das muss sich erst noch herumsprechen.

Rund 7.500 Unternehmen beteiligen sich heute am bundesweiten „Girls’ Day“. Dabei sollen Mädchen ermuntert werden, in technische und handwerkliche Berufe hineinzuschnuppern. Nach Angaben der Koordinierungsstelle in Bielefeld gibt es in diesem Jahr rund 137.000 Plätze für die eintägige Hospitanz und damit so viele wie noch nie zuvor. Am beliebtesten seien Polizei, Bundeswehr und Universitäten. Der „Girls’ Day“ richtet sich an Schülerinnen der fünften bis zehnten Klassen. In Niedersachsen können beim „Zukunftstag für Jungen und Mädchen“ außerdem auch die Jungen in traditionelle Frauenberufe hineinschnuppern.DPA, TAZ

Was muss an den Schulen passieren, damit sich mehr Jungen für Frauenberufe begeistern?

Die Berufsberatungen an den Schulen müssen stärkeres Augenmerk auf die Themen „Lebensplanung“ und „Rollenbilder im Beruf“ legen. Außerdem benötigen wir mehr männliche Grundschullehrer – die Jungen brauchen männliche Vorbilder.

INTERVIEW: MARTIN MÜLLER