taz auf Hochtouren in NRW
: Neue Armut und die 1.000-Euro-Frage

Das Ende der Arbeitsgesellschaft zu verkünden, ist in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nicht mehr allzu überraschend. Seit die Mittelschicht letztes Jahr das Prekariat entdeckt hat, kann man es überall lesen: Ja, es gibt Menschen in Deutschland, die seit Jahren ohne Beschäftigung sind und es auf absehbare Zeit auch bleiben werden. Die Zeiten der Vollbeschäftigung sind eben vorbei.

Trotzdem überrascht es, wenn Werner Marquis den magischen Satz sagt: „Das Thema Vollbeschäftigung ist abgehakt.“ Denn Marquis ist Sprecher der Arbeitsagentur in Nordrhein-Westfalen – also der Behörde, die Arbeitslosen eigentlich helfen soll, wieder einen Job zu finden. Und die Druck macht, wenn jemand da nicht mitspielen will, weil es ohnehin nicht genügend Arbeitsplätze für alle gibt.

„Ich bin erstaunt, dass das beim Arbeitsamt angekommen ist“, kommentierte ein Mann, einer von rund dreißig Menschen, die am Donnerstag Abend zur taz-Veranstaltung ins Alte Pfandhaus in Köln gekommen waren. taz-Parlamentskorrespondent Jens König und die taz-Autorin Nadja Klinger stellten dort ihr Buch „Einfach abgehängt“ vor. Zum dritten Mal in dieser Woche lasen sie aus ihrem inzwischen preisgekrönten „Bericht über die neue Armut in Deutschland“, wie es im Untertitel des Buches heißt.

Die taz-nrw-Rettungskampagne hatte das Autorenduo am Montag schon nach Paderborn und am Mittwoch nach Mülheim geführt. Immer hatten sie andere Gesprächspartner: In Paderborn sorgte Werner Eichhorst vom Bonner Institut für die Zukunft der Arbeit für hitzige Debatten über Hartz IV, in Mülheim wurde mit DGB-Landeschef Guntram Schneider vor allem darüber diskutiert, was die Gewerkschaft tun sollen.

In Köln war der „Gegenspieler“ eben Werner Marquis. Als Mitarbeiter der Arbeitsagentur kennt Marquis Menschen, wie sie Klinger/König in ihrem Buch portraitiert haben. Typen wie den arbeitslosen Ex-Junkie Patrick aus Köln, der seinen Schulabschluss nachmacht. Oder die arbeitslosen Eltern aus Wiesbaden, die ihren Kindern nur gebrauchtes Spielzeug schenken können. Weswegen die Kinder schon fragen: „Wessen war das denn vorher?“

Was also tun? Für König/Klinger ist intelligente Armutspolitik vor allem Querschnittspolitik. „Manchen ist auch mit mehr Geld geholfen, anderen aber nicht“, sagte König. Für Marquis gibt es keine Alternative zu Hartz IV und vor allem zum Konzept, Menschen für den Arbeitsmarkt zu „aktivieren“. „Hartz IV ist das Ergebnis von 50 Jahren Fehlentwicklung“, befand er. Jahrzehnte lang sei versucht worden, Probleme „mit Geld zuzudeckeln“. Das gehe eben nicht mehr.

Im Publikum wurde es da unruhig. Eine Frau stellte sich vor: über 50, arbeitslos, ihr Erspartes hatte sie aufgebraucht, bevor sie sich bei der Arbeitsagentur gemeldet hat. „Warum soll ich denn für 50 Jahre Fehlentwicklung bezahlen?“, fragte sie. Marquis ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Was soll man denn sonst machen, entgegnete er – keine Weiterbildungsmaßnahmen mehr bezahlen? Die Arbeitsagentur könne aber nicht alle Probleme lösen. „Irgendwann kommt die 1.000-Dollar-Frage: Was passiert auf dem Arbeitsmarkt, wie geht es weiter?“ Dann sehe es für viele nicht gut aus, weil es heute eine „Spaltung in der Arbeitslosigkeit“ gebe. Gehe es mit der Wirtschaft wieder aufwärts, dann profitierten nur die jungen, flexiblen Fachkräfte. „Für die Problemfälle bleibt es schwierig“, gab er unumwunden zu. DIRK ECKERT

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