Literarische Vielfalt auf 196 Seiten

Die „Krachkultur“ versammelt klassische Kleinode mit Seltenheitswert und Kurzgeschichten von Neulingen. Ein inhaltliches Konzept ist dabei kaum zu erkennen. Soeben ist die die elfte Ausgabe des gewagten Bremer Literaturmagazins erschienen

Schon beim Blättern finden sich die herrlichsten Sätze: „Wie um einen Raum um sich zu schaffen, begann er nach längerem Schweigen ein paar Verse zu sprechen.“ Oder: „Dann imitierte er das Gebrüll irgendeines wilden Tieres, das sich in einer äußerst unbequemen und bedrohlichen Lage befindet und darüber sehr zornig ist.“ Typische Schriftstellersituationen sind das. Die heute erscheinende elfte Ausgabe der Bremer Literaturzeitschrift Krachkultur ist mitunter ein Ort, an dem Autoren ihr eigenes Treiben beleuchten.

Und weil sie diese Disziplin durchweg auf anregende Art und Weise meistern, kann der Leser mannigfaltigen Gewinn erzielen. Es verblüfft etwa die Prosa des Litauers Sigitas Parulskis durch stechend scharfe Roman-Miniaturen. Kafka- und Bukowski- Anleihen werden mit einer guten Prise postsowjetischer Paranoia gewürzt. In seiner Heimat längst ein Star, feiert Parulskis in der Krachkultur sein Deutschlanddebüt.

Lorbeeren in Sachen literarische Vielfalt erwerben sich die Herausgeber Martin Brinkmann und Fabian Reimann auch durchs Aufspüren verschollener Klassiker. So findet sich im neuen Heft (das ein veritables Buch ist), ein erotisches Frühwerk des berühmten Sonderlings Heimito von Doderer. Unter Philologen werden frische Nachlass-Fundstücke wie dieses mitunter als kleine Sensationen gewertet. Und der Feuilletonist erschrickt, wenn er feststellt, dass auch Shootingstars wie Sasa Stanisic oder Tanja Dückers in der Krachkultur begonnen haben. Kein Wunder, dass das Heft, das 1993 als „Forum für junge Autoren“ begann, heute eine Auflage von 1.000 Stück hat und auch die Unis in Harvard und Stanford beliefert.

Dabei fällt dem kritischen Betrachter eine seltsame Beliebigkeit ins Auge: Es wuselt in der Krachkultur von Gedichten, Sinnsprüchen, Kurzgeschichten, Fotos, Tagebucheinträgen, Romanauszügen und Fragmenten. Rund ist die ganze Sache nicht, ein inhaltliches Konzept kaum zu erkennen. Werden hier nur Zufälligkeiten nebeneinander gestellt? Oder schlimmer noch: Kaufanreize? Gewiss. Doch gerade das ist hier die Tugend. Wie im Fanzine wird vor allem Disparates und Entlegenes gesammelt. Stilbrüche sind gewollt. Herausgeber Brinkmann: „Alles ist erlaubt, nur keine Langeweile.“ Gemäß seiner eigenen Theorie gibt es in der Literatur drei Haltungen, die einander stets das Zepter reichen: das Ich, das Wir und das Material. Als Autorentypen sind das der intime Bekenner, der menschelnde Engagierte und der ästhetische Sprachjongleur – und in der Krachkultur finden sie sich friedlich beieinander, ja mitunter im gleichen Text.

Inhaltlich haben die Nachfolger der Pop-Literatur deren Themen nicht viel hinzuzufügen; es dreht sich immer noch vieles um Statussymbole und um die Selbstermächtigung, die Pop dem jungen Menschen an die Hand gibt. Umso erstaunlicher ist die neue Verspieltheit in der Form. Der knappe Stil Katharina Höckers etwa liest sich wie atemlos vorgetragene Regieanweisung, als perfekte Skizze. Caroline Hartge rechtfertigt ihre gleichmachende Interpunktionslosigkeit und Kleinschreiberei durch handfeste inhaltliche Oppositionen – wie die von Sehnsucht und Leben.

Für ihre Verse gilt ganz besonders, was alle Texte der Krachkultur im Kern eint: Sie sind schwerwiegend, aber leichtfüßig.ROBERT BEST

Krachkultur Nr.11, 196 Seiten, 10 Euro – erhältlich in ausgewählten Buchläden oder über www.krachkultur.de