Agenda 2010
: Handelsware Kultur (Teil 1)

PETER ORTMANN betreut die Kultur-Berichterstattung der taz nrw. Statt auf Flohmärkten ist er lieber im Theater.

Gute Freunde kann niemand trennen / Gute Freunde sind nie allein / Weil sie eines im Leben können / Füreinander da zu sein (Der Kaiser)

Ich hasse Flohmärkte. Dieses Sammelsurium von Restmüll, aus dem findige Händler noch Kapital schlagen wollen. Neben ekligen Uralt-Armaturen liegen Omas eingetrocknete Parfümfläschchen und dann die endlosen Landschaften in Öl. Alles Originale, preist sie der Nachlassverwalter der ewigen Spießbürger an. Vielleicht ist ein unbekannter Meister darunter. Na klar. Ein müder Blick noch auf die Avantgarde des knatschbunten Gardasees und des wirklich dreist gespachtelten Matterhorns, dann sind die endlosen Müll-Stände endlich vorüber. Ruhige Straßen des Ruhrgebiets folgen. Dazwischen hoch gebaute Hässlichkeit.

Auch die zeitgenössische Allerwelts-Architektur folgt dem Flohmarktschema, röhrende Hirsche als Zugabe – hier nennt man sie Kunst am Bau. Meinen Augen wird schlecht vor so viel Mittelmäßigkeit. Doch es gibt kein Aspirin dagegen. Feste arbeiten an der eigenen sozialen Plastik, hat Beuys geraten. Aber er hat auch gesagt, der Fehler beginne bereits, wenn einer Farbe und eine Leinwand kauft. Der Meister konnte sich solche Sprüche fett leisten, auch materiell.

Doch wie soll das alles abtötende Mittelmaß verhindert werden? Selbst ernannte Künstler schießen aus den Boden, und niemand schießt zurück. Nicht dass allgemeine Kreativität verwerflich wäre, im Gegenteil. Nur ausstellen oder aufführen muss man sie doch nicht. Weder in Arztpraxis, Theater oder Parteizentrale. Oft erfüllt das fast den Tatbestand der Körperverletzung. Doch immer kennt einer einen, der einen kennt und schwupp, landen Ergüsse autodidaktischer Feierabendzeit in der Öffentlichkeit und irgendein Kunsthistoriker führt in den Schwachsinn auch noch ein. Die Kunst benötigt Laxativa.

Die Kulturhauptstadt 2010 auch. Erst wenn der ganze parteipolitische Wahn zwischen Entdecken, Erleben und Bewegen durchs Klo gespült ist, haben echte Visionen wieder eine Chance. Erst wenn das Märchen von der Handelsware Kultur zu einer Novelle für kulturelles Miteinander geworden ist – an einen Roman wollen wir ja noch gar nicht denken – erst dann besteht eine reale Chance auf Nachhaltigkeit. Nämlich in den Köpfen der Ruhrgebiets-Bewohner, nicht in den Geldbörsen von Groß-Industrie oder den Einer-kennt-einen-der-einen-kennt-Künstlern, die rotierend weltweit ihre Event-Scheiße zu Gold machen dürfen. Dann könnten wir eine Idee entwickeln, wie das Ruhrgebiet künstlerisch für uns umgewandelt wird und nicht seelenlos kreativwirtschaftlich für die mächtigen guten Freunde.

PETER ORTMANN