Das Denkmal spaltet

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Nach den gewaltsamen Protesten der Vortage hat die Regierung Estlands am Sonntag angekündigt, ein Denkmal zur Erinnerung an die gefallenen Sowjetsoldaten des Zweiten Weltkriegs in der Hauptstadt Tallinn schneller zu verlegen, als ursprünglich geplant. Zugleich verschärfte sich der Ton zwischen der estnischen und russischen Regierung, so dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel als EU-Ratspräsidentin gedrängt sah, beide Seiten zur Besonnenheit zu mahnen. Heute will eine Parlamentsdelegation aus Moskau Tallinn besuchen.

In Estlands Hauptstadt wird das umstrittene Denkmal nur „Aljoscha“ genannt. Der lebenshohe Soldat aus Bronze liegt seit Freitagmorgen in einem Polizeikeller. Sein Sockel in einem kleinen Park am Fuße der Altstadt von Tallinn ist nun leer. Aljoscha triumphiert nicht angesichts eines Siegs. Den Stahlhelm in der Hand und den Kopf gesenkt, ist er ein Soldat, der um seine toten Kameraden trauert. Eigentlich könnte er ein einendes Symbol für das Leiden und den Wahnsinn des Krieges sein. Doch er trägt die Rote-Armee-Uniform. Zu Sowjetzeiten fand hier die jährliche Gedenkfeier zur „Befreiung“ statt. Weshalb sich an Aljoscha die Geister scheiden. Gehasst wird er von denen, welche in ihm nichts anderes als ein Symbol einer fast fünf Jahrzehnte währenden Okkupation des Landes durch die Sowjetunion sehen können.

Im Unterschied zu anderen Denkmälern aus sowjetischen Zeiten hatte Tallinns Stadtverwaltung Aljoscha nach der Unabhängigkeit des Landes in Frieden an seinem Platz stehen gelassen. Und meist nur zweimal im Jahr versammelte sich dort eine größere Menschenmenge. Um am 22. September der Vertreibung der deutschen Wehrmacht aus Tallinn im Jahre 1944 zu gedenken und am „Befreiungstag“ am 9. Mai. Im letzten Jahr war es dabei hier zu gewaltsamen Zusammenstößen mit estnischen Skinheads gekommen, welche versucht hatten, die Gedenkveranstaltung zu stören. Da hatte Ministerpräsident Andrus Ansip erstmals darüber gesprochen, das Denkmal müsse entfernt werden, „weil es die estnische Gesellschaft spaltet“.

Die Umsetzung dieses Vorhabens hatte Tallinn seit Donnerstag unruhige Nächte beschert, bei denen ein junger Russe getötet wurde. Protestierende Jugendliche zogen mit russischen Fahnen und „Rossija“-Rufen durch die Innenstadt. Es wurden Schaufensterscheiben eingeworfen, Geschäfte geplündert, Autos umgekippt und kleine Brände angelegt. In der Nacht zum Freitag hatte es 50 Verletzte und 300 Festnahmen gegeben. In der darauf folgenden Nacht waren auch Jugendliche mit estnischen Flaggen aufgetaucht. Die Polizei meldete 70 Verletzte und 500 Festnahmen. Proteste wurden auch aus den nordöstlich von Tallinn liegenden Städten Jõhvi, Kohtla-Järve und Narva gemeldet. Dort liegt der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung bei über 80 Prozent. Von Tallinns 400.000 Einwohnern sind etwa die Hälfte russischstämmig.

Mit der Ankündigung, den Bronzesoldaten nun umgehend in einem Soldatenfriedhof wieder aufbauen zu wollen, gelang es der Regierung offenbar die aufgeregte Stimmung am Samstag wieder etwas zu beruhigen. Man hatte außerdem aus dem ganzen Land Polizeiverstärkungen in die Hauptstadt zusammengezogen, deren Innenstadt in der Nacht zum Sonntag von Polizeipatrouillen beherrscht war. Rund um das Parlament waren Absperrungen errichtet worden, wie es sie seit 1991 nicht mehr gab. Damals hatte Moskau Panzer in Marsch gesetzt, um die keimende Unabhängigkeitsbewegung niederzuschlagen.

Die Regierung Estlands bezeichnete in offiziellen Stellungnahmen die Proteste als Werk von Kriminellen und betrunkenen Jugendlichen. Die Stadtverwaltung von Tallinn verhängte ein bis zum 2. Mai geltendes allgemeines Verbot für den Verkauf von Alkoholika.