Installierte Geschichte

Der englische Künstler Simon Starling ist Träger des renommierten Turner-Prize 2005. Kurz vor dem Abriss und Neubau des Essener Museums Folkwang befasst er sich mit dessen Architektur- und Sammlungsgeschichte. Seine Installation „Nachbau“ hat als ästhetische Rekonstruktion einer Folkwang-Ausstellung aus den 1930er Jahren aber auch politische Dimensionen

„Jemand anderes Fotos von jemand anderes Bildern in jemand anderes Museum sind mein Material.“

AUS ESSEN KATJA BEHRENS

Der große Wechselausstellungsraum der Oberen Galerie sieht auf den ersten Blick wie eine düstere Baustelle aus. Einige der Zwischenwände sind auf- und abgeschnitten und haben keine Funktion mehr im Ausstellungsbetrieb. Im Zentrum der großen leeren Halle ist aus Metallträgern und Holzplatten ein Raum im Raum errichtet, in welchem Gemälde, Skulpturen, Tapisserien und Kleinplastiken verschiedener Kulturen ausgestellt sind. Über einer Türöffnung hängt ein Minirock kurzer altrosa Vorhang und bewegt sich leise – eine wundersame Insel inmitten einer etwas bedrohlich wirkenden Backstage-Situation der bald kommenden Zerstörung.

Simon Starling, 1967 in Epsom geboren, arbeitet in seiner aktuellen Installation „Nachbau“, wie er selbst es formuliert, „die Lagen einer komplexen Geschichte heraus“. Im neueren Gebäudeteil des Essener Museums Folkwang, der im Juli abgerissen und durch einen David Chipperfield-Neubau ersetzt werden soll, rekonstruiert der englische Künstler eins zu eins eine historische Ausstellungssituation, wie sie auf Fotografien von Alfred Renger-Patzsch zu erkennen ist. Der Fotograf, einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Sachlichkeit, hatte seit 1929 im Folkwang Museum Atelierräume abgelichtet. Und neben seiner fotografischen Arbeit über das Ruhrgebiet dokumentierte er die Sammlung und Hängung des Museums bis zu dessen Zerstörung 1944. Ausgangspunkt der Intervention Starlings bilden nun vier um 1930 entstandene Fotos, die die Präsentation und Ausstellungssituation jener Zeit überliefern.

Für seine Arbeit recherchierte der Künstler in den Archiven des Museums, forschte über die Geschichte von Bau und Kunst, erfuhr vom Verbleib vieler Bilder, die auf den historischen Fotos noch als stolzer Museumsbestand wie selbstverständlich in den Räumen hingen. Doch seit 1937 fehlen sie. Nur einzelne Werke konnten wieder zurückgekauft werden wie etwa das Bild von Emil Nolde, das in Starlings Nachbau wie einst in Nachbarschaft zu dem wunderbaren Bildnis von Paula Modersohn-Becker hängt. Die anderen Gemälde, die in diesem Raum hingen, etwa von Otto Mueller („Akt im Freien“, um 1913), von Giorgio de Chirico („Selbstbildnis“, 1924) oder auch ein großes Triptychon von Karl Schmidt-Rottluff sind heute nur als gerahmte Reproduktionen präsent. Franz Marcs „Pferde“ sogar bloß als einfache Diaprojektion. Neben der zweidimensionalen Kunst und ihren Kopien gibt auch es einige Vitrinen, in denen originale Museumsstücke gezeigt werden, die dem entarteten Urteil der Nationalsozialisten entgangen sind: Idole und Kunsthandwerk.

Auf die Frage nach seiner Motivation antwortet der Künstler, seit 2005 Träger des renommierten Turner-Preises, er gehe nicht emotional, sondern eher rational und aus konzeptueller Distanz an die Objekte heran. Ihr jeweiliges Schicksal interessiere ihn vor allem, weil es das Material ist, aus dem sich eine kunstvolle und mehrfach gewundene Schleife knüpfen lässt: „Jemand anderes Fotos von jemand anderes Bildern in jemand anderes Museum sind mein Material.“ Sein Werk sei der Prozess jener Aneignung und der „möglichst präzisen Rekonstruktion und Transformation“ eines Raumes über das fotografierte Bild in das Modell. Auch wenn Simon Starlings Kunst nicht explizit politisch ist, steht die Institution Museum und mit ihr die Kunst als Opfer und Objekt der nationalen Historie doch im Fokus.

RWE hat hat die Ausstellung gesponsert. Zeitgleich zeigt der Essener Energie-Riese im Foyer seines Büro-Turms noch das Werk des polnischen Künstlers Oskar Dawicki (geb. 1971). Der darf dort mit seiner mehrteiligen multimedialen Installation zur Imagesteigerung des Unternehmens beitragen. Dass der Konzern mit dem Sponsoring der auch zusammen eröffneten Ausstellung nicht nur seine Außenwirkung aufzupolieren versucht, sondern irgendwie auch die Geschichte der Essener Folkwang-Sammlung – und damit die Zukunft ihrer Architektur – an sich reißen könnte, löst in der Stadt wenig Unbehagen aus.

Bis 01. Juli 2007 Museum Folkwang, Essen Infos: 0201-88 45 314