die taz vor zwanzig jahren über den papst und den nationalsozialismus
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Hohe moralische Ansprüche kann man an einen Papst ja nicht stellen, der nichts dabei findet, sich von der chilenischen Kriegsmarine zu seinen Gläubigen fahren zu lassen. Aber die feierliche Seligsprechung von Edith Stein und Rupert Mayer stellt den Papst unvermeidlich unter den Anspruch, zum Verhältnis Kirche und Nationalsozialismus Stellung zu nehmen. Dieser Akt erinnert aber an den Stil der Vergangenheitsbewältigung aus den 50er Jahren, die mit der Glorifizierung des Widerstandes des 20. Juli alle Deutschen freisprach. Dem Papst zufolge war die Kirche von Anfang an im Widerstand und das Konkordat von 1933 war die erste Widerstandshandlung. Eine erstaunliche Feststellung. Schließlich hatte der Vatikan seinen Besitzstand (Religionsunterricht) im Verhältnis zum Staat gesichert und damit der Hitlerregierung einen riesigen politischen Erfolg gesichert. Schon die Fuldaer Bischofskonferenz März 1933 beeilte sich, die Unvereinbarkeit von NSDAP-Mitgliedschaft und katholischem Glauben aufzuheben. Dennoch, sagt der Papst, konnte die „unheilvolle Entwicklung nicht mehr aufgehalten werden“. Vielleicht. Aber der historisch bewiesene Vorwurf ist ja, daß es an den Versuchen des Aufhaltens mangelte. Trotz flehentlicher Bitten haben die deutschen Bischöfe niemals öffentlich gegen Auschwitz protestiert. Pius XII. hat in unmenschlicher Kälte die Aufforderung überhört, gegen die Deportationen der römischen Juden, gegen das Grauen unmittelbar vor den Toren des Vatikans, zu intervenieren. Bloße Unbußfertigkeit also?

Die vom Vatikan ausgelösten Antiabtreibungskampagnen und die unziemliche Hast, mit der eine moralische Würdigung von Galens mit der aktuellen Kirchenpolitik verbunden wird, suggeriert: Im Zweifel ist das ungeborene Leben wichtiger als das geborene. Angesichts dieses Zynismus kann man sich kaum gegen die Erinnerung wehren, daß Hitler schließlich auch Abtreibungsgegner war.

Klaus Hartung, taz, 2. 5. 1987