Es scheppert an der Lohnfront

Die Erwerbslosenzahlen sinken – doch leider auch die Kaufkraft der Nettolöhne. Wie können faire Arbeitsentgelte gesichert werden? Diese Frage steht hinter dem Streit um Metalltarife, Mindestlöhne und Managergehälter

Mehr Arbeit, stabiles Wachstum. Nur: Die frohe Botschaft kommt in vielen Portemonnaies nicht an Es gibt wieder ein Verteilungsproblem, aber der Frontverlauf ist komplizierter als früher

VON BARBARA DRIBBUSCH
UND ANNA LEHMANN

Eigentlich könnte mit dem Frühjahr auch die gute Laune steigen in Deutschland: Die Zahl der Arbeitslosen ist im April unter vier Millionen gesunken und liegt jetzt bei 3,967 Millionen, wie Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) gestern mitteilte. Und auch die Wachstumsprognosen sind gut. Die frohe Botschaft kommt allerdings bei vielen Leuten im Portemonnaie nicht an. Wenn es um die Bezahlung für Arbeit geht, öffnen sich in Deutschland nämlich inzwischen so viele Lohnfronten wie nie zuvor.

„Du hast mehr verdient!“ lautete daher das Motto der diesjährigen Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum 1. Mai, mit dem die Gewerkschaften anknüpfen wollten an den Unmut der Erwerbstätigen, trotz Ackerei nur schwer hinzukommen mit dem selbstverdienten Geld und sich die steigenden Gesundheitskosten und die Privatrente fürs Alter eben nicht leisten zu können.

Diesen Erwerbstätigen nützt es nur bedingt, wenn Arbeitsminister Müntefering freudig verkündet: „Die Wachstumsprognosen und Arbeitsmarktentwicklung zeigen einen klaren Trend: Die Arbeitslosigkeit sinkt.“ Das klingt gut, nur verringert sich auch die Kaufkraft der Nettolöhne, die Reallöhne sinken.

Nach den Zahlen aus dem neuesten Tarifhandbuch 2007 des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts der Hans-Böckler-Stiftung sind die realen Nettolöhne- und gehälter im Jahre 2006 erneut gesunken, und zwar immerhin um 1,9 Prozent. Die leichten tariflichen Steigerungen der Bruttolöhne wurden durch höhere Lohnnebenkosten und steigende Preise aufgezehrt.

Es gibt in Deutschland also wieder ein Verteilungsproblem, nur ist der Frontverlauf inzwischen komplizierter als noch vor zehn Jahren. Drei neue Lohnfronten haben sich aufgetan.

Historisch relativ neu ist der Kampf um den Mindestlohn. Da legen sich die Dienstleistungsgewerkschaften Ver.di und Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), inzwischen aber auch der DGB, für einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro brutto ins Zeug, der FriseurInnen, Wachleute oder VerkäuferInnen schützen soll.

Arbeitsminister Müntefering hat sich inzwischen an eine gesetzliche Lohnuntergrenze von 6,50 Euro brutto herangerobbt und befürwortet diese. Als Argument für die Lohnhöhe wird dabei interessanterweise Hartz IV herangezogen, an dieser Lohnfront geht es also um die Existenzsicherung. Das ist eine andere Sprachregelung als bei den traditionellen Tarifverhandlungen, wo man Verteilungsfragen zwischen Gewinnen und Arbeitnehmerentgelten thematisiert.

Fast schon nostalgisch wirkt demgegenüber die zweite Front, die der traditionellen Tarifkämpfe wie aktuell in der Metallindustrie, wo diesmal möglicherweise am Ende eine Lohnsteigerung von um die vier Prozent auf dem Papier steht. Am Donnerstag wollen die Tarifparteien in Baden-Württemberg versuchen, einen Pilotabschluss zu erzielen. Dieser Konflikt erscheint eher friedlich angesichts von Unternehmensaktionen wie bei der Deutschen Telekom, die 50.000 Mitarbeiter zum Zwecke der Kosteneinsparung einfach in einen neuen Servicebereich mit schlechterer Tarifstruktur schieben möchte.

Das lässt die gute alte Tariffront genauso bröckeln wie die Tatsache, dass fast die Hälfte der neuen sozialversicherungspflichtigen Stellen in Deutschland Jobs in der Leiharbeit sind. Wenn aber Leiharbeiter, die am Band die gleichen Stücke montieren wie Festangestellte, trotzdem weniger verdienen als ihre KollegInnen, leidet das Gerechtigkeitsempfinden.

Was ist ein gerechter Lohn? Diese Frage entwickelt besondere Brisanz an der dritten Front, wo es um die Managergehälter geht und das Verhältnis zwischen konkreter Arbeitsleistung und Entgelt auch mit dem Fernglas oft nicht mehr zu erkennen ist. Innerhalb von sechs Jahren konnten die Vorstandsmitglieder der DAX-Unternehmen ihre Bezüge verdoppeln. Die prozentuale Schere zu den Arbeitnehmereinkommen geht damit weit auf.

Engagiert wirkte zwar der eingebrachte Gesetzentwurf der Fraktion „Die Linke“ im Herbst vergangenen Jahres, nachdem die Managergehälter höchstens 20-mal so hoch sein dürfen wie der Lohn eines einfachen Beschäftigten. Dieser Entwurf hat im real existierenden Kapitalismus aber kaum eine Chance, griffe er doch in die unternehmerische Autonomie zu sehr ein.

Es scheppert also ordentlich an den Lohnfronten. Aus einer kollektiven Unübersichtlichkeit bietet sich der individuelle Ausweg scheinbar an. Wer sich den boomenden Ratgebermarkt zu Gehaltsverhandlungen anschaut, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass künftig jeder persönlich verantwortlich sein soll für seine Entgeltbiografie: Verkaufe dich in jungen Jahren oder als gefragter Spezialist so teuer wie möglich, denn nur dein Bankkonto zählt, auch später, wenn das Alter kommt.

Doch die Entgeltfrage ist kein Monopoly, es geht um Lebensqualität. Deshalb dürfte künftig jede kollektive Absicherung erst recht besonders kostbar wirken. Wer denn wie über welche kollektiven Lohngrenzen verhandeln soll – das ist das Zukunftsthema in der Sozialpolitik. Politiker wissen das ganz genau.