Ein Kniegelenk von weiblicher Schönheit

Bisher orientierten sich die Konstrukteure von künstlichen Prothesen am männlichen Körperbau. Jetzt gibt es auch Knieprothesen speziell für Frauen

Ist es geschicktes Marketing oder eine wirklich innovative Idee? Ein in der Herstellung künstlicher Gelenke führendes US-amerikanisches Unternehmen bietet eine Knieprothese an, die der Anatomie des weiblichen Knies angepasst ist. Im Mai 2006 wurde das weibliche Kniegelenk-Implantat von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen, und seit Anfang dieses Jahres setzen auch 15 Krankenhäuser in Deutschland die Kniegelenk-Prothese ein.

„Weibliches und männliches Kniegelenk unterscheiden sich deutlich voneinander“, erklär- ten die orthopädischen Chirurgen Aaron Rosenberg und Richard Berger in einer Pressemitteilung der Rush-Universität in Chicago. Rosenberg und Berger gehören einem zehnköpfigen Team an, das die weibliche Kniegelenk-Prothese entwickelte.

Worin liegen die Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Knie? Betrachtet von vorne nach hinten, ist das Knie bei Frauen kürzer als bei Männern. Dieses Charakteristikum ist bereits schon in früheren Zeiten berücksichtigt worden: Die Chirurgen maßen den Abstand zwischen dem vorderen und hinteren Ende des Oberschenkelknochens im Kniebereich und wählten dementsprechend die Implantatgröße. Aber ansonsten wurden Kniegelenk-Prothesen entsprechend männlichen anatomischen Eigenschaften konstruiert – und dies, obwohl mehr als zwei Drittel der Implantatempfänger Frauen waren und sind.

Die herkömmliche Vorgehensweise ist offensichtlich zu simpel, denn bekanntermaßen sind Frauen keine kleinen Männer. „Frauen können zwar die Kleider und Schuhe von Männern tragen, aber die meisten bevorzugen Sachen, die speziell für Frauen hergestellt wurden. Dies wird auch beim Knieimplantat so sein“, stellte Rosenberg fest.

Zwar habe eine Vielzahl der Patientinnen relativ gute Erfahrungen mit konventionellen Prothesen gemacht, jedoch traten auch Schmerzen oder Fremdkörpergefühle auf. Laut verschiedener Umfragen haben mehr Frauen als Männer Beschwerden. Offenbar ist bei einem Knieimplantat nicht nur die von vorn nach hinten gemessene Länge von Bedeutung.

Mohamed Mahfouz, von der University of Tennessee, führte zahlreiche computertomografische Untersuchungen durch und stellte die so gefundenen anatomischen Besonderheiten des weiblichen Knies in einem Atlas dar. Genau diese Merkmale berücksichtigte das Rosenberg-Team bei der Entwicklung der Prothese. So ist die Gelenkfläche des weiblichen Oberschenkelknochens im Kniebereich schmaler als die des männlichen und im Vergleich zur rechteckigen Form beim Mann eher von trapezförmiger Gestalt. Daher erhalten Empfängerinnen herkömmlicher Prothesen des Öfteren ein Implantat, das am Übergang zum Oberschenkelknochen seitlich übersteht. Dies kann zu Schäden an Bändern und Sehnen führen.

Des Weiteren ist die Vorderseite des Oberschenkelknochens von Frauen weniger stark ausgeprägt. „Ein herkömmliches Implantat fühlt sich deshalb gröber an, und dies kann zu Schmerzen und Funktionseinschränkungen führen“, sagte Rosenberg. Zum anderen habe der Winkel zwischen Becken und Knie einen Einfluss auf die Bewegungen der Kniescheibe. Dieser Winkel ist infolge der unterschiedlichen Anatomie des Beckens bei der Frau anders als beim Mann: Das breitere weibliche Becken führt dazu, dass Frauen zur X-Bein-Stellung neigen.

Alle besonderen weiblichen Merkmale der Anatomie werden bei dem neuen Produkt beachtet, betonten Rosenberg und Berger. Ob sich daraus wirklich medizinische Vorteile ergeben, lässt sich noch nicht mit absoluter Sicherheit beurteilen. Da die Zulassungsbedingungen bei Medizinprodukten weniger streng als bei Medikamenten sind, musste der Hersteller keine klinischen Studien durchführen. Er sollte nur einleuchtend belegen, dass das Implantat den gleichen technischen Anforderungen entspricht wie andere Knieprothesen. Eines jedoch steht fest: Die Kosten für die weibliche Knieprothese werden von den Krankenkassen übernommen.

CLAUDIA BORCHARD-TUCH