Entsorgung der verbliebenen Symbole

Wie Estland will auch Polen letzte Sowjet-Denkmäler verschrotten – ohne aber einen Denkmalkrieg zu riskieren

WARSCHAU taz ■ „Die Symbole der kommunistischen Diktatur müssen aus den Städten und Straßen Polens verschwinden“, verkündete Polens Kultusminister Kazimierz Ujazdowski, kurz nachdem die Bilder über die Straßenschlachten in Estlands Hauptstadt Tallinn über die Fernsehschirme flimmerten. Er bereite zur Zeit ein Gesetz vor, das die endgültige „Entfernung von Denkmälern und Symbolen der Fremdherrschaft über Polen“ ermöglichen solle, so der Minister. In Tallinn hatte die Versetzung des „bronzenen Soldaten“ von der Stadtmitte auf einen sowjetischen Friedhof am Stadtrand fast zu einem Aufstand der russischen Minderheit geführt.

In ersten russischen Reaktionen auf Ujazdowskis historische Kahlschlagpolitik war von harten Sanktionen die Rede, vom totalen Boykott polnischer Waren. Doch Polens Wirtschaft leidet schon heute unter einem Fleisch- und Gemüseembargo Russlands. Ein weiterer Boykott würde Polens Russland-Exporte vollends zum Erliegen bringen.

Anders als Estland hat Polen die meisten Sowjetdenkmäler schon vor Jahren entfernt oder auf Soldatenfriedhöfe der Roten Armee umgesetzt – mit dem Einverständnis Moskaus. Dies könnte sich nun ändern. Denn noch stehen auf einigen zentralen Plätzen Polens gigantische Denkmäler der „polnisch-sowjetischen Waffenbrüderschaft“. Ein Denkmalkrieg mit den Russen aber ist das Letzte, was sich die Polen zur Zeit wünschen können.

Obwohl Staatspräsident Lech Kaczyński den estnischen Präsidenten gleich zweimal anrief und ihm seine Solidarität zusicherte, versuchte sein Staatssekretär Adam Lipinski der Situation ihre Schärfe zu nehmen: „Das Entfernen der Symbole des Kommunismus in Polen hat nichts mit dem zu tun, was sich zur Zeit zwischen Estland und Russland abspielt“, versicherte er.

Bei diesem Versöhnungsangebot kam ihm allerdings Stefan Melak, der Vorsitzende des Katyn-Komitees, in die Quere: „Es ist eine Schande, dass für die Instandhaltung von rund 2.000 sowjetischen Denkmälern weiterhin Millionen von Zloty der polnischen Steuerzahler ausgegeben werden.“ Das Komitee, das Moskau seit Jahren auffordert, die Erschießung von rund 20.000 polnischen Kriegsgefangenen 1941 in den Wäldern von Katyn als „Völkermord“ anzuerkennen, erklärt sich solidarisch mit den Esten. „Diese Denkmäler sind Symbole der Lüge und Gewalt. Mit ihrer Entfernung helfen wir auch den Russen, mit ihrer kommunistischen Vergangenheit abzurechnen.“ Nicht angetastet werden sollen allerdings die zahlreichen Soldatenfriedhöfe und Mausoleen der über eine halbe Million Rotarmisten, die 1944 und 1945 im Kampf gegen die Nazis in Polen starben. „Das sind einfache Menschen, gegen die wir nichts haben.“

Andrzej Przewoznik, Generalsekretär des Komitees zur Erinnerung des Widerstands und Märtyrertums der Polen, geht davon aus, dass es in ganz Polen „höchstens noch 20 bis 30 bedeutende Sowjet-Denkmäler gibt“. Dazu gehört in Warschau der Kulturpalast, ein Geschenk Stalins an Polen, der knapp 20 Hektar große Soldatenfriedhof im Stadtteil Mokotow, das „Ruhmesdenkmal für die Sowjetsoldaten, die Warschau befreiten“ im Zentrum der Stadt und das Denkmal der polnisch-sowjetischen Waffenbrüderschaft im Stadtteil Praga, das im Volksmund nur „die vier Schläfer“ genannt wird. Die anderen Denkmäler aber könnten demnächst der Abrissbirne zum Opfer fallen. GABRIELE LESSER