Behinderten gekündigt

MINDESTLOHN Integrationsbetriebe drohen mit der Entlassung behinderter Beschäftigter

„Welcher Kunde akzeptiert schon einen höheren Stundensatz für ungelernte Arbeitskräfte?“, fragt sich Jürgen Schiewer. Der Geschäftsführer der Dienstleistungsgesellschaft Kappeln (DG) ahnt: Nur wenige. Daher befürchtet er, zum Jahresende bis zu 21 Beschäftigte entlassen zu müssen – alle haben einen Behindertenausweis. Denn auch sie haben Anspruch auf Mindestlohn, wenn sie in einem Integrationsbetrieb arbeiten, also einer Firma, deren Belegschaft zu einem Viertel oder der Hälfte aus Behinderten besteht.

Die Opposition im Kieler Landtag hatte bereits bei Einführung des Mindestlohns auf dieses Problem hingewiesen und sieht sich nun bestätigt. Bei einer heutigen Sitzung im Rahmen der Landtagsberatungen wollen sich CDU, FDP und Piraten von den den zuständigen Ministerien einen Bericht zur Lage der Integrationsbetriebe vorlegen lassen. Die Parteien haben beantragt, diese Betriebe vom Mindestlohn auszunehmen.

„Die Lage in Kappeln und anderen betroffenen Betrieben ist auch der SPD bekannt, aber außer empörtem Kaffeetrinken passiert nichts“, sagt Wolfgang Dudda (Piraten). Heike Franzen (CDU) warnt: „Wir müssen aufpassen, dass der Mindestlohn nicht auf Kosten der Menschen mit Behinderung kommt.“

Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) hatte bereits bei den Landtagsdebatten klargestellt, dass die Erhöhung des Stundenlohns über die Ausgleichsabgabe – eine Kompensation für Betriebe, die Behinderte beschäftigen – aufgehoben werde. Zudem seien Integrationsbetriebe, anders als Werkstätten für Menschen mit Behinderung, normale Firmen, die sich dem Markt stellen.

Jürgen Schiewer verweist dagegen auf den besonderen Auftrag seines Betriebes, nämlich Beschäftigte zu qualifizieren und weiterzuvermitteln: „Wir haben eine Brückenfunktion.“ Auch die Höhe der Ausgleichszahlung steht bisher nicht fest. Verhandlungen laufen, so Schiewer. Es geht um die Frage, ob die ausgesprochenen Kündigungen zurückgenommen werden könnten. Gegen eine Sonderbehandlung der Integrationsbetriebe ist ausgerechnet der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Ulrich Hase: „Der Mindestlohn muss für alle gelten.“ Fernziel sei, auch Beschäftigten der Werkstätten einen Lohn auszuzahlen, von dem sie leben könnten.  EST

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