Stresstest für den Familienvater

FIFA Sepp Blatter wird mit überwältigender Mehrheit wieder zum Präsidenten des Internationalen Fußballverbands gewählt

„Würden Sie die Fußball-Familie bitte in Ruhe lassen!“

Argentiniens Fussballboss schimpft auf die Engländer

VON ANDREAS RÜTTENAUER

„Vielen Dank für Ihre Stimme und Ihr Vertrauen.“ Auch wenn Sepp Blatter schon Tage vor der Abstimmung klar war, dass er für weitere vier Jahre Präsident des Internationalen Fußballverbandes bleiben wird, wirkte er erleichtert. 186 von 203 Delegierten aus den Nationalverbänden der Fifa haben für den Schweizer gestimmt, der nach dem Rückzug des Katarers Mohammed bin Hammam einziger Kandidat war. Blatter versprach nicht weniger, als „das Schiff Fifa wieder auf den rechten Kurs zu bringen und in klares transparentes Wasser“ zu navigieren.

Dass das Image der als korrupt verschrienen Fifa-Führung arg angekratzt ist und sich auch die Sponsoren schon besorgt über den Zustand der Weltfußballregierung geäußert haben, hatte Blatter schon in seiner Rede vor der Abstimmung angesprochen. Kurz nach seiner Wiederwahl beendete der den 61. Kongress der Fifa und machte sich an die Arbeit. Seine erste Idee: eine „Lösungskommission“ soll die Fifa beraten und ihr beim Imagewandel helfen. Dem Beratergremium soll neben verdienten ehemaligen Spielern, Politiker und andere Promis angehören. Ob das reichen wird? Anders als bei anderen Skandalen in der von Blatter auch dieser Tage in Zürich immer wieder so genannten Fifa-Familie, kommen die jüngsten Korruptionsvorwürfe nicht von außen. Es sind Familienmitglieder selbst, deren Beschuldigungen und Andeutungen den Schluss nahe legen, dass noch nie so viel bestochen worden ist wie vor der Vergabe der WM-Turniere nach Russland (2018) und Katar (2022). Und so richtete sich der Hass der treuen Fifa-Schar nicht allein – wie sonst üblich – gegen die Presse, die die Fifa traditionell in ein schlechtes Licht setze, sondern vor allem gegen den englischen Fußballverband. Dessen Vorsitzender David Bernstein hatte einen Antrag auf Verschiebung der Wahl gestellt. Er wollte verhindern, dass einfach so weitergewurstelt wird wie bisher. Eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten hätte für seinen Antrag stimmen müssen. Doch er wurde regelrecht abgeschmettert. Nur 17 Delegierte folgte Bernstein. Die anderen folgten alle denen, die sich entsetzt zeigten von Englands familienschädigendem Verhalten.

Am weitesten ging da Julio Grondona, der Präsident des argentinischen Fußballverbandes und Vize der Fifa, der den Urverband des Fußballs am liebsten loswäre. „Es sieht ganz so aus“, sagte er, „als ob dieses Land einfach keinen Goodwill zeigen möchte. Würden Sie die Fußball-Familie bitte in Ruhe lassen!“ Gerüchte, wonach Grondona seine Stimme bei der WM-Vergabe im Dezember selbst verkauft habe, hat der 79-Jährige vehement bestritten. Wie er gestimmt hat, ist indes klein Geheimnis mehr, seit er gesagt hat: „Ich habe für Katar gestimmt, weil eine Stimme für die USA (die hatten sich auch beworben, d. Red.) wie eine Stimme für England gewesen wäre. Und das geht gar nicht.“ Und warum nicht? „Zur englischen Bewerbung habe ich gesagt: Lassen Sie es uns kurz machen: Wenn Sie uns die Falkland-Inseln, die uns gehören, zurückgeben, dann bekommen Sie meine Stimme.“

Im Vergleich zu solchen Fifa-Kalibern wie Grondona wirkt Theo Zwanziger, seit Mittwoch Mitglied des Fifa-Exekutiv-Komitees, wie ein harmloses Männlein. Der Chef des größten Fußballverbands der Welt, des Deutschen Fußballbunds, wollte in Zürich auch nicht ausscheren aus der großen Familienfeier. Seine auf der Homepage des DFB vorgetragene Anregung, man möge die Vorgänge um die Vergabe der WM nach Katar von einer externen Kommission überprüfen lassen, sorgte demnach nur für wenig Aufsehen. Denn auf dem Fifa-Kongress hielt sich Zwanziger vornehm zurück. Als Reformator wird der DFB-Präsident wohl nicht in die Fifa-Geschichte eingehen.

Als solcher präsentierte sich am Mittwoch ausgerechnet Sepp Blatter selbst: „Es ist an der Zeit, radikale Schritte zu machen und nicht nur kleine Verbesserungen“, sagte er. So soll in Zukunft der Fifa-Kongress mit seinen 208 Mitglieder über die Vergabe von WM-Turnieren entscheiden. Bis jetzt war darüber hinter verschlossenen Türen in der 24-köpfigen Fifa-Exekutive abgestimmt worden. Zehn Exekutivmitglieder stehen derzeit unter schwerstem Korruptionsverdacht, darunter Jack Warner aus Trinidad und Tobago sowie Mohammed bin Hammam, die beide unmittelbar vor Beginn des Fifa-Kongresses von der Ethikkommission des Verbandes vorübergehend aus der Fußballfamilie ausgeschlossen worden sind. Auch über die Mitglieder der Ethikkommission soll künftig der Kongress abstimmen. Das von Blatter bis dato handverlesene Gremium hat nicht gerade den Ruf, unabhängige Entscheidungen zu treffen. Das ist nicht erst seit Montag so, als es Warner und bin Hamman suspendiert hat, den des Stimmenkaufs für die Präsidentenwahl verdächtigen Präsidenten indes exkulpiert hat. Und dann soll ja noch jene Lösungskommission gebildet werden.

Der 88-jährige Henry Kissinger soll seine Mitarbeit bereits zugesagt haben. Er ist ein Mann, der von Blatter regelrecht bewundert wird. Vielleicht weil er eine Auszeichnung erhalten hat, von der Blatter selbst im Sommer 2010 noch geträumt hat: den Friedensnobelpreis. Während der WM in Südafrika, als er der Welt ein Sozialprojekt nach dem anderen präsentierte, um die segensreiche Kraft des Fußballs für die Entwicklung der Welt zu demonstrieren, wähnte er sich dem Nobelpreis nahe. Er wird ihn wohl nie erhalten, auch wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte, das Fifa-Schiff in ruhige Gewässer zu führen.