Der Paulus der Pedaleure

Ivan Basso gesteht. Die Frage ist nur: Was denn eigentlich? Der Giro-Sieger gibt nur zu, was längst nicht mehr zu leugnen ist, bewirbt sich aber trotzdem als Kronzeuge für einen sauberen Radsport

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Entspannt schaute Ivan Basso drein, als er gestern Mittag, Punkt 12 Uhr, in Mailand auf einer Pressekonferenz sein Doping-Geständnis vom Vortag wiederholte. Nicht zerknirscht, nicht geduckt, nicht gehetzt, sondern von einem enormen Gewicht befreit gab sich der 29-jährige Radsportstar nach fast einem Jahr des Leugnens.

Ivan Bassos Name war, zusammen mit dem Jan Ullrichs und fünf weiterer Radler, schon im Juni 2006 genannt worden, als der Skandal um den spanischen Wunderdoktor Eufemiano Fuentes bekannt wurde. Gerade hatte Basso, Zweiter der Tour de France 2005, triumphal den Giro d’Italia gewonnen und galt als Top-Favorit auch der Tour 2006. Die allerdings durfte er schon nicht mehr fahren – wegen des Vorwurfs, auch er habe zu den Fuentes-Kunden gehört, die eifrig Eigenblut-Transfusionen vornahmen.

Bis vorgestern aber leugnete Basso weiter stur, auch wenn die Ermittlungen in Spanien erdrückende Indizien ans Tageslicht gebracht hatten. Das fing schon mit der wenig fantasievollen Wahl des Tarnnamens in Fuentes’ Konservenlager an: Da firmierte ein „Birillo“ (Kegel) – und auf den Namen Birillo hört zu Hause im norditalienischen Varese auch Bassos Hund. Weiter ging es mit SMS-Nachrichten von Basso an Fuentes („Alles in Ordnung, wir hören dann voneinander“), und schließlich hatte die spanische Staatsanwaltschaft den Doping-Ermittlern vom Italienischen Olympischen Komitee auch die „Birillo“-Blutbeutel zur Analyse nach Rom überstellt.

An diesem Punkt entschloss Basso sich zum Befreiungsschlag. Anders als Ullrich, anders als Floyd Landis, der Doping-verdächtige Tour-Sieger 2006, packte mit ihm nun erstmals einer der ganz Großen des Radsports aus, statt die Opfernummer zu geben. Am Montag ließ Basso sich auf eigenen Wunsch vier Stunden lang von den Dopingermittlern des Olympischen Komitees vernehmen, am Dienstag dann stellte er sich der Presse.

Wer jedoch umfassende Auskünfte über den Dopingsumpf im Radsport erwartet hatte, wurde enttäuscht. Namen anderer Sportler fielen nicht, Erhellendes über die Blut- und Drogen-Netzwerke hatte Basso auch nicht weiter mitzuteilen. Stattdessen erklärte er ausführlich, wie er zum Doping-Täter wurde, ohne – so man ihm glauben darf – doch je wirklich gedopt zu haben. Und zugleich machte er deutlich, dass er sich eine Zukunft im Radsport vorstellen kann: als Kronzeuge für nun endlich sauberes Radeln.

Treuherzig erklärte Basso der Presse sein Doping-Geständnis der dritten Art. „Präzisieren“ wollte er, dass er in seiner „Karriere nie gedopt oder Eigenblut-Transfusionen vorgenommen“ habe – es sei beim bloßen „Versuch“ geblieben. Das hat man sich so vorzustellen: Basso gab ein Heidengeld aus – 35.000 Euro resultieren aus den Unterlagen von Doktor Fuentes –, um seine Blutkonserven einzulagern, doch den Giro im Jahr 2006 fuhr er dann, wahrscheinlich weil er sich grade so gut fühlte, ohne groß auf illegale Hilfen aus Spanien zurückzugreifen. Die Beutel waren nämlich für einen andren Einsatz gedacht: für die Tour de France, bei der er dann nicht mitfahren durfte, weshalb aus dem erstmals in seiner Radsport-Karriere geplanten Sportbetrug nichts wurde.

Diese Erklärung, abgegeben „aus Respekt vor meinen Fans und vor dem Radsport“, hat den Vorteil, dass Basso seine Version deutlich näher an die Faktenlage heranrückt, als es ein Jan Ullrich mit seinem bockigen Leugnen tut. Und so wird die Selbstbelastung zugleich zum geschickten Entlastungsmanöver. Erstens nämlich muss Basso, wenn seine Version durchgeht, nicht mehr die strafrechtliche Verfolgung in Italien fürchten, da das bloße Einlagern von Blutkonserven noch nicht den Tatbestand „Sportbetrug“ erfüllt. Zweitens dürfte er seinen Giro-Titel behalten, da er bei diesem Sieg ja angeblich total clean war.

Und drittens bereitet Basso im Verein mit dem italienischen Radsportverband schon seine nächste Karriere-Etappe vor, als frisch geläuterter Pedalen-Paulus, als Kronzeuge für sauberes Radfahren, der mit seiner Vergangenheit als (allerdings nie gedopter) Saulus endgültig gebrochen hat. Schon heißt es aus dem italienischen Radsportverband, man dürfe Basso „jetzt nicht allein lassen“, und das Lösungsmodell wird auch genannt. Statt der obligaten zwei Jahre könnte man ja wegen des Geständnisses bloß ein Jahr Sperre verhängen.

Siehe Kommentar Seite 11