Polizei wühlt sich durch die linke Szene

Die Polizei durchsucht in Berlin und Brandenburg 23 Objekte von linken Aktivisten – darunter den Mehringhof, das Bethanien und das „Umbruch“-Bildarchiv. Anwälte sprechen von dünner Beweislage. Grüne: BKA agiert planlos

Es waren gespenstische Szenen, die sich gestern Morgen in Kreuzberg abspielten. Wer von der Oberbaumbrücke aus die Skalitzer Straße entlangfuhr, konnte ca. alle 300 Meter Polizeiwannen am Straßenrand sehen. Auf Höhe des Schlesischen Tors sah man Kriminalbeamte in einer Wohnung Bücher durchwälzen. Vor dem Infoladen „Fusion“ schleppten Beamte schwere Geräte in die Räume – offenbar, um Computer durchzuscannen. Polizisten standen auch vor einem Gebäude in der Lausitzer Straße, in Richtung Künstlerhaus Bethanien fuhr eine halbe Hundertschaft auf, um die beschlagnahmten Gegenstände aufzuladen. Auch der Buchladen Schwarze Risse im alternativen Kulturzentrum Mehringhof war betroffen.

Gegen Mittag verkündete ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, dass in Berlin und Brandenburg insgesamt 23 Objekte von der Polizeit durchsucht wurden. Im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel bestehe der „Anfangsverdacht gegen Personen aus dem militanten linksextremistischen Umfeld, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben“, heißt es zur Begründung. Die Hälfte von ihnen wohne in Berlin.

Christoph Kliesling, einer der Anwälte der Durchsuchten, ist empört: Strafrechtlich gesehen sei der Durchsuchungsbeschluss „sehr dünn“, sagte Kliesing der taz. Aus zwölf Anschlägen, die jeweils von unterschiedlichen Gruppen begangen worden seien, werde versucht, eine „terroristische Glocke“ zu bilden. Der Anwalt wertete die Razzien als Versuch, linke Strukturen im Vorfeld des G-8-Gipfels Anfang Juni auszuforschen und einzuschüchtern.

Gefilzt wurde auch das linke Bildarchiv „Umbruch“. Laut Durchsuchungsbeschluss wollten die Beamten die Autorenschaft des vor drei Jahren erschienenen Buchs „Autonome in Bewegung“ klären. Umbruch-Mitarbeiter Hermann Bach berichtet, dass die Autoren nach § 129 a beschuldigt werden, weil sie sich in dem Buch dazu bekannt hätten, in den 80er-Jahren Anschläge begangen zu haben. Im Durchsuchungsbeschluss heißt es dazu: „Es entspricht nicht zuletzt aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters der Beschuldigten deren Konzeption, erheblich jüngere Personen aus der militanten linken Szene zum Zwecke der operativen Durchführung der Anschläge zu rekrutieren.“ Bach dazu: „Wenn es nicht so traurig wäre, möchte man fast darüber lachen.“ Für ihn stellt die Durchsuchung des Archivs zudem einen schweren Eingriff in die Pressefreiheit dar.

In besonderem Interesse der Ermittler muss der Internetprovider so36.net gestanden haben. Auf dessen Servern liegen die Websites vieler linker Gruppen. Seit gestern Morgen ist er abgeschaltet.

Tim Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin, dereetwan Räume ebenfalls durchsucht wurden, sieht bei den Razzien zugleich eine mobilisierende Wirkung: „Die Gruppen werden enger zusammenrücken.“ Bereits für gestern Abend war eine Solidemo geplant.

Kritik am Vorgehen kommt auch aus dem Abgeordnetenhaus. „Die Staatsanwaltschaft will die berechtigte G-8-Kritik verängstigen“, sagte der innenpolitische Experte der Grünen, Benedikt Lux. Wahllose Durchsuchungen würden zeigen, wie planlos das BKA ist, sagte Lux. „Das ist ein Trauerspiel für einen Rechtsstaat.“ Er forderte das BKA auf, die beschlagnahmten Gegenstände unverzüglich zurückzugeben. FELIX LEE, JÖRG MEYER

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