Gute Mehrheiten, schlechte Minderheiten

DEBATTE Im Grünen Salon stellte der Menschenrechtler Lutz van Dijk die Thesen der US-amerikanischen Geschlechtertheoretikerin Judith Butler über sexuelle und rassistische Diskriminierung infrage

„Minderheiten sind nicht per se gut. Es gibt elitäre Minderheiten und humanistische Mehrheiten.“ Das war die Kernthese eines Vortrags, den der Deutsch-Niederländer Lutz van Dijk am Sonntag im Grünen Salon der Volksbühne hielt. Anlass für den Auftritt des Menschenrechtlers und Schriftstellers, der sich in Südafrika für aidskranke Kinder einsetzt, war ein doppeltes Jubiläum: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) feiert dieses Jahr 50-jähriges, die AI-Gruppe „Menschenrechte und sexuelle Identität“ (MERSI) ihr 15-jähriges Bestehen.

Van Dijks Vortrag unter dem Motto „Ist Liebe ein Menschenrecht?“ war eine Replik auf Judith Butler: Vor ziemlich genau einem Jahr hatte die US-Philosophin und Gender-Theoretikerin für einen Eklat gesorgt, indem sie den Zivilcourage-Preis des Berliner CSD ablehnte. Ihre Begründung: Die lesbisch-schwule Parade sei zu kommerziell und unkritisch gegenüber Rassismus. Butler kritisierte, europäische Staaten nähmen die Diskriminierung von Muslimen mit dem Argument in Kauf, sie schützten dadurch Homosexuelle vor Diskriminierung.

Van Dijk hielt dagegen, indem er die Begriffe Mehrheit und Minderheit relativierte: „Wenn Judith Butler Solidarität mit muslimischen Minderheiten in europäischen Ländern anmahnt, ungeachtet, ob sie die Verfolgung sexueller Minderheiten gutheißen oder nicht, verliert sie aus dem Blick, dass diese Minderheiten sich gestärkt fühlen durch die absoluten Mehrheiten in ihren Herkunftsländern.“

In einer Eingangsrede hatte der Grüne Volker Beck auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, für die Rechte sexueller Minderheiten einzustehen. Auch machte er auf mögliche Vorwürfe etwa aus afrikanischen Ländern aufmerksam, der Einsatz für die Rechte von Lesben und Schwulen sei „unafrikanisch“. Es komme darauf an, „dass bei der Entwicklungszusammenarbeit auch schwule und lesbische Menschenrechtsorganisationen gestärkt werden“, so Beck.

Ein Widerspruch, den van Dijk auch auf Nachfrage nicht wirklich lösen konnte: Er argumentierte vor dem Hintergrund universeller Menschenrechte, Butler hingegen auf der Ebene der Realpolitik westlicher Staaten.

HÜLYA GÜRLER