„Der Kontakt zu Europa ist Gold wert“

KÖRPER Alex Moussa Sawadogo über sein Festival für zeitgenössischen Tanz aus Afrika „Border Border Express“ und den eurozentrischen Blick, der noch immer von Klischees und Fantasievorstellungen geprägt ist

■ Der 36-jährige Kulturmanager stammt aus Burkina Faso. Als Kunstgeschichtsstudent in Ouagadougou schrieb er die erste wissenschaftliche Arbeit über zeitgenössischen Tanz in Afrika. Kurz darauf zog er nach Deutschland, wo er seit nunmehr sieben Jahren als Film- und Tanzkurator arbeitet. Sein Filmfestival Afrikamera ist dieses Jahr bereits in der vierten Ausgabe zu sehen. Im Hebbel am Ufer läuft diese Woche sein erstes Tanzfestival in Deutschland. Für „Border Border Express“ hat Sawadogo zeitgenössische Choreografen aus Burkina Faso, Kenia, Südafrika und Kongo in Berlin versammelt, um mit ihnen der Frage nachzugehen, wie man dem noch immer kolonialen Blick des westlichen Publikums begegnen könne.

INTERVIEW VON ELISABETH WELLERSHAUS

taz: Herr Sawadogo, zeitgenössischer Tanz aus Afrika wird in Deutschland noch immer gerne als Folklore abgetan. Wollen Sie diese Wahrnehmungsgrenzen mit Ihrem Festival überwinden?

Alex Moussa Sawadogo: Zumindest wollen wir es versuchen. Um das Überwinden von körperlichen Grenzen geht es schließlich bei fast jedem Tanzfestival. Bei uns soll es auch um andere Barrieren gehen. Das Titel gebende Stück von Opiyo Okach erzählt beispielsweise von geografischen Grenzen; von einem Taxi, das zwischen Kenia und Uganda hin- und herpendelt. In den Arbeiten von Nelisiwe Xaba geht es um das Pendeln zwischen eurozentrischer Kunstwelt und südafrikanischer Heimat. Und die Compagnie Baninga versucht im Eröffnungsstück, den Bürgerkriegsalltag in Brazzaville hinter sich zu lassen. Unser Ansatz ist also tatsächlich das Aufbrechen von Stereotypen.

Auch der Versuch der Publikumserziehung?

Sagen wir, es wäre schön, wenn die Mehrheit des deutschen Publikums Afrika nicht länger als homogenes Riesenkonstrukt und seine Tanzwelt als bunte Folkloreshow wahrnehmen würde. Und wenn auch mehr Veranstalter differenzieren würden. Im Moment ist es doch so: Wenn man in Deutschland ein Festival mit Choreografien aus Afrika zeigt, lautet die thematische Klammer in der Unterzeile immer: AFRIKA AFRIKA! Umgekehrt würde man nirgends ein europäisches Tanzfestival ankündigen, ohne thematisch oder regional genauer zu unterscheiden.

Sie unterscheiden immerhin zwischen Choreografen aus Kongo, Kenia, Burkina Faso und Südafrika. Aber Sie befeuern mit Stücken wie „Sakhozi says NON to the Venus“ auch Klischees, wie das über den erotisch aufgeladenen schwarzen Frauenkörper.

Ja, aber ich hoffe doch sehr, dass das Publikum intelligent genug ist, sich für die Hintergründe des Stücks zu interessieren. In der Biografie von Sarah Baartman, der sogenannten „Hottentot Venus“ aus Südafrika, steckt ja viel mehr drin. Wegen ihrer ausgeprägten Geschlechtsmerkmale wurde Baartman einst zum südafrikanischen Kuriosum der Weltausstellung. Sie ist also wunderbares Beispiel für die Unterdrückung afrikanischer Frauen durch den Blick weißer Kolonialherren. In Südafrika wird derartige Geschichtsaufarbeitung immer noch zu wenig betrieben. Und in Deutschland weiß man noch viel weniger darüber. Eine gute Gelegenheit also, eine so politische Choreografin wie Nelisiwe Xaba vermitteln zu lassen.

Es scheint, als hätten alle Choreografen Ihres Festivals politische Anliegen.

Streng genommen haben das fast alle Choreografen in ganz Afrika. Gut, es gibt auch die, die sich einfach an Musik und Bewegung berauschen. Aber die meisten sehen sich wohl als Sprachrohre von Gesellschaften, über deren Alltag man im Westen und den anderen afrikanischen Ländern wenig weiß. Andererseits wäre es falsch, den Tanz aus Ländern wie Kenia, Südafrika oder Burkina Faso auf politische Inhalte zu reduzieren. Dort verhandelt man schließlich auch längst die eigenen Kulturpraktiken. Aber über diese Auseinandersetzung weiß man in Deutschland kaum etwas.

Wie kommt das?

In Deutschland wird einfach verhältnismäßig wenig Tanz aus afrikanischen Ländern gezeigt. Deswegen halte ich es auch für falsch, die afrikanischen Choreografen bei großen Festivals wie Tanz im August oder IN TRANSIT als Alibi-Afrikaner abzutun. Hauptsache, sie kommen überhaupt. Noch besser wäre natürlich ein Festival wie move berlim, das alle zwei Jahre in Berlin stattfindet; irgendeine Plattform jedenfalls, auf der sich neue Entwicklungen nachvollziehen ließen und wo nicht ständig der vermeintliche Spagat zwischen Tradition und Moderne vorgeführt werden müsste. Die Choreografen, die ich kenne, sind dem jedenfalls längst entwachsen. Und sie zeigen das in ihren Heimatländern auch in eigenen Tanzzentren, Tanzschulen und auf Festivals.

Es wäre schön, wenn das deutsche Publikum Afrika nicht länger als homogenes Riesenkonstrukt wahrnehmen würde

In Berlin hat der zeitgenössische Tanz mittlerweile ein Stammpublikum. Wird das nun etwas aufgemischt?

Es kann sein, dass zusätzlich Menschen kommen, die sich speziell für Afrika interessieren. Und natürlich Afrikaner, die in Berlin leben. Gerade für Letztere wünsche ich mir, dass sie durch die Arbeiten der geladenen Künstler ihre persönlichen Themen auf der Bühne wiedererkennen. Allzu oft werden diese Themen nämlich noch von Westlern verhandelt. Wir Afrikaner müssen lernen, untereinander zu kommunizieren und nicht immer nur Gesprächsthema der anderen zu sein.

Herr Sawadogo, Sie leben seit sieben Jahren in Deutschland. Führt sich der künstlerische Dialog über die entscheidenden Entwicklungen in Afrika besser in der Diaspora?

Eine schwierige Frage. Aber ich komme immer wieder zu dem Fazit, dass ich momentan mehr von hier aus in Bewegung bringe als in Burkina Faso. Der Kontakt zu Europa ist für Künstler aus afrikanischen Ländern immer noch Gold wert. Und dem Berliner Publikum tut ein Kurator mit einem etwas anderen Blick ja vielleicht auch ganz gut. Ich bleibe also noch ein bisschen hier.

■ Bis 12. Juni, www.borderborderexpress.de