Neonazis verknacken Linken

Seit drei Monaten sitzt ein 21-Jähriger wegen versuchten Totschlags in U-Haft. Beweise gibt es keine, nur die Aussage von zwei bekannten Neonazis. Grüne und Linkspartei fordern nun seine Freilassung

VON JOHANNES RADKE

Eigentlich wohnt Matthias Z. in Friedrichshain. Der 21-Jährige engagiert sich als Gewerkschafter, betreut schwerstbehinderte Jugendliche und arbeitet ehrenamtlich bei einer Beratungsstelle für Opfer rechter Übergriffe. Dazu gehört auch, sie zu Gerichtsprozessen zu begleiten. Viele Neonazis kennen ihn: von den Zuschauerbänken der Gerichte, aber auch von Protesten gegen ihre Aufmärsche. Matti, wie ihn seine Freunde nennen, bezeichnet sich als Antifaschist. Er will sich nicht damit abfinden, dass sich Migranten und alternative Jugendliche in manchen Bezirken nicht ohne Angst vor rechter Gewalt bewegen können.

Doch seit knapp drei Monaten sitzt Matti in Untersuchungshaft im Knast Moabit. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft wiegt schwer: Es geht um versuchten Totschlag. Bei einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahre Haft. Handfeste Beweise liegen gegen ihn allerdings nicht vor. Festgenommen wurde er allein aufgrund der Aussage von zwei Rechtsextremisten, die nach Informationen von Antifagruppen selbst schon mehrfach an gewalttätigen Übergriffen beteiligt waren. „Ich fordere die sofortige Freilassung von Matti“, erklärt deswegen die Linkspartei-Abgeordnete Evrim Baba. Es sei ein Skandal, dass ein Antifaschist derart lange in U-Haft sitzt, und sich die Staatsanwaltschaft dabei nur auf die Aussage zweier stadtbekannter Neonazis stütze.

Unterstützung von Ver.di

Baba ist nicht die Einzige, die das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft scharf kritisiert. Neben den Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch und Sevim Dagdelen solidarisieren sich auch der Landesvorstand der Jusos und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit dem Inhaftierten. „Wir gehen davon aus, dass unser Kollege Matthias unschuldig ist, und werden alles tun, dass er so schnell wie möglich rauskommt“, sagte Andreas Köhn, stellvertretender Ver.di-Landesbezirksleiter. Es sei völlig unverständlich, wieso es bei dieser äußerst dürftigen Beweislage keine Haftverschonung gebe.

„Die Anordnung der U-Haft ist eine Katastrophe“, erklärt auch Benedikt Lux, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Seiner Meinung nach sind die Aussagen der beiden Neonazis unglaubwürdig. „Dann könnten die Nazis ja jetzt ständig mit Bildern von linken Demonstranten aus ihrem privaten Fotoalbum zum Staatsanwalt gehen und sie belasten“, so Lux weiter.

Die Vorgeschichte: Am 29. November werden die Rechtsextremisten Stefanie P. und Sebastian Z. von drei vermummten Personen im S-Bahnhof Lichtenberg angegriffen und mit Tränengas und Schlagstockhieben leicht verletzt. Da sie dem Landeskriminalamt als Angehörige der rechten Szene bekannt sind, wird der Vorfall als politisch motiviert gewertet. Noch in derselben Nacht präsentieren die Geschädigten der Polizei ein Foto von Matti und geben an, ihn trotz Vermummung als einen der Angreifer erkannt zu haben. Die Folge: Matti wird observiert, sein Telefon überwacht. Am 12. Dezember stürmt die Polizei seine Wohnung und steckt ihn in U-Haft – wegen angeblicher Fluchtgefahr.

Für Mattis Rechtsanwalt Daniel Wölky ist der Vorwurf des versuchten Totschlags „an den Haaren herbeigezogen“. An den mehr als 50 beschlagnahmten Kleidungsstücken sowie an zwei in der Wohnung gefundenen Schlagwerkzeugen und Reizgasdosen habe die Polizei trotz eingehender Untersuchung keine Spuren gefunden, die für eine Beteiligung Mattis an der Tat sprechen würden. „Besonders brisant ist, dass unser Mandant als Belastungszeuge in einem laufenden Prozess gegen Sebastian Z. auftritt“, berichtet der zweite Verteidiger, Björn Gercke. „Wir können also nicht ausschließen, dass die beiden Belastungszeugen unseren Mandanten deshalb auf dem Kieker haben.“

Für Falko Schuhmann vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum sind Stefanie P. und Sebastian Z. keine Unbekannten. „Beide kommen aus dem Umfeld der inzwischen verbotenen neonazistischen Kameradschaft Tor; sie sind als Anti-Antifa aktiv“, sagt Schuhmann. „Anti-Antifa-Arbeit“ nennen Neonazis das gezielte Sammeln von Fotos, Namen und Adressen vermeintlicher politischer Gegner wie Gewerkschafter, Journalisten und Antifas.

Exempel statuiert

Stefan Jakob, Sprecher der Soligruppe für Matti, vermutet, dass es den angegriffenen Neonazis darum geht, einem bekannten Antifaschisten eine Tat anzuhängen, um ihn in seiner Arbeit gegen rechts einzuschränken. „Es kann doch kein Zufall sein, dass die Neonazis plötzlich mit einem Foto von Matti auftauchen und behaupten, dass sie ihn erkannt hätten.“ Dass die Staatsanwaltschaft gleich auf versuchten Totschlag plädiert, zeige, dass hier ein Exempel statuiert werden soll, um die Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Antifas einzudämmen. „Das Schlimme ist, dass es jeden hätte treffen können, der bereits von Rechtsextremisten fotografiert wurde“, so Jakob.

Mattis Anwälte gehen davon aus, dass der Prozess gegen ihren Mandanten frühestens im Mai eröffnet wird. So lange muss er – sollten alle Proteste nicht helfen – wohl noch in U-Haft bleiben.