berliner szenen Blind-Date-Café

Warten auf Estelle

Aufmerksam beobachtet er, wie ich meinen Kaffee bestelle, und seine Blicke folgen mir auch, als ich zum Zeitschriftenständer gehe und mir die Gala greife. Kann man in seinem Lieblingscafé nicht mal in Ruhe einen Kaffee trinken und Schundzeitschriften lesen?, ärgere ich mich im Stillen. Kaum, dass ich mich gesetzt habe, rutscht er auch schon die Bank entlang auf mich zu. „Haissuvielleisestl?“ Zweimal muss ich nachfragen, dann verstehe ich, was er sagt. „Heißt du vielleicht Estelle?“ Verblüfft verneine ich. Unter Entschuldigungen rutscht er die Bank zurück zu seinem Platz. Fragt man nicht: „Wie heißt du?“ oder „Kommst du öfters her?“, wenn man jemanden kennen lernen will?, denke ich erst. Dann aber verstehe ich: Er hat ein Blind Date und kennt nur ihren Namen! Auf einmal sind mir seine neugierigen Blicke sympathisch. Ab jetzt beobachten wir die Tür gemeinsam.

Fünf Minuten später bewegt sie sich endlich wieder und herein kommt: eine dickliche Punkerin mit blauem Iro. Entsetzt gucke ich erst sie an, dann ihn: Estelle? Doch sie bestellt sich „so’n Mülschkaffee“ und setzt sich, ohne sich weiter umzuschauen. Wir sind erleichtert.

Dann dauert es wieder etwas, bis die nächste Frau das Café betritt. Sie hat ein rosa Sweatshirt an und trägt ihre Brille so, als hätte sie keine Lust gehabt, die Kontaktlinsen einzusetzen. Sie steuert direkt auf seinen Tisch zu. Jippieh! „Estelle?“, fragt er. „Entschuldige die Verspätung – ich hatte deine Nummer weggeschmissen“, antwortet sie. Oh. Dann fängt sie an, die Karte zu studieren. Er berät sie: „Sojamilch finde ich total eklig.“ Auf einmal finde ich ihn wieder blöd. Ich nehme meine Sachen und gehe. Estelle möchte ich nun auch nicht mehr kennen lernen. HANNAH PILARCZYK