Die Wohnung, die mitdenkt

SMART HOME Absenkbare Küchenschränke, Essensbestellung per Tablet – in Hamburg sucht ein Projekt nach Wegen, wie Senioren ihren Alltag komfortabler gestalten und länger selbstständig leben können

1,2 Millionen Euro kostet das Projekt „Vernetztes Wohnen im Quartier“ insgesamt.

■ Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung übernimmt fast die Hälfte der anfallenden Gesamtkosten.

■ Hamburgs Gesundheitsbehörde hat knapp 300.000 Euro beigesteuert.

■ Als Investoren sind auch die privatwirtschaftlichen Software-Unternehmen Q-Data Service GmbH und Prosystem Software GmbH beteiligt.

■ Für rund 200.000 Euro wurde die Musterwohnung in der Senioreneinrichtung „Pflegen und Wohnen“ des gleichnamigen, ehemals kommunalen Trägers in Hamburg-Uhlenhorst hergerichtet.

■ Noch bis Mitte 2017 soll die Musterwohnung Interessierten zum Probewohnen zur Verfügung stehen.  KGI

VON KATHARINA GIPP

Zusammen mit seiner Frau Brigitte hat es sich Volker Bossen auf dem Sofa gemütlich gemacht. In der Hand hält er einen Tablet-Computer. Die beiden Rentner stellen sich ihr Frühstück zusammen: Er bestellt Brötchen mit Aufschnitt, sie lieber süß, mit Marmelade. Kurze Zeit später fangen die Deckenlampen an zu blinken. Die Lieferung ist angekommen. Aus einer Lieferklappe in der Wohnungswand können sie ihr Frühstück nehmen.

Das Ehepaar Bossen ist zu Gast in der Musterwohnung des Projekts „Vernetztes Wohnen im Quartier“. In den großzügig geschnittenen Zimmern ist eine Menge Technik verbaut, die Senioren den Alltag erleichtern und ihnen zu einer höheren Lebensqualität verhelfen soll. Ob die technischen Einrichtungen wirklich sinnvoll sind oder doch bloße Spielereien, soll eine Befragung der Probebewohner ergeben.

Viele Jahre hat Volker Bossen als Hausmeister in der Steenbeck Stiftung in Hamburg-Uhlenhorst gearbeitet, heute bewohnt er mit seiner Ehefrau selbst eine Wohnung in der Einrichtung. „Das Durchschnittsalter der Bewohner lag bei 80 Jahren. Da habe ich mir schon früh Gedanken gemacht, wie ich selbst wohl im Alter leben werde.“

Jan Parchmann vom Fachbereich Informatik der Uni Hamburg, der das Projekt wissenschaftlich betreut, hat den 72-Jährigen leicht fürs Probewohnen in der Musterwohnung gewinnen können. „Ich war schon immer einer, der alles mitmacht“, sagt Bossen. Auch mit dem Tablet hat er keine Berührungsängste. Schließlich hat er ja schon seit einiger Zeit einen Computer.

Auf den ersten Blick wirkt die „vernetzte“ Wohnung nicht gerade hochtechnologisch. Sie ist schlicht eingerichtet, es gibt Stuck an der Decke und beige-gelb gestreifte Tapeten. „Wir wollten nicht, dass es so aussieht wie bei Raumschiff Enterprise“, sagt Informatiker Parchmann. Einzig die vielen Wandschalter lassen die technischen Möglichkeiten erahnen.

Die Küchenschränke sind per Knopfdruck höhenverstellbar. Der Fußboden ist mit einem sogenannten „Sensfloor“ ausgelegt, der Stürze der Bewohner registriert und gegebenenfalls Alarm auslöst. In der Wand befindet sich eine Kennwort gesicherte Klappe, durch die der Bewohner Lieferungen entgegennehmen kann – auch mit zeitlicher Verzögerung. Die Überwachungskamera vor der Wohnungstür überträgt ihr Bild direkt auf den Fernseher in der Küche und im Wohnzimmer.

Viele der technischen Einrichtungen lassen sich auch per Tablet steuern. Dazu haben die zwei privatwirtschaftlichen Projektpartner eine eigene Bedienungssoftware entwickelt. Vorhänge und Fenster lassen sich per Tablet öffnen und schließen, die Farbe und Intensität des Deckenlichts variieren. Man kann aber auch komplexere Abläufe programmieren. „Denkbar sind Programme, die automatisch ablaufen, beispielsweise beim Verlassen der Wohnung oder dem nächtlichen Besuch im Bad“, sagt Reinhard Heymann, Geschäftsführer von Q-Data Service. Verlässt der Bewohner das Haus, schließen sich etwa die Fenster, die Heizung wird runterreguliert und womöglich auch der Herd ausgeschaltet. „Alles ist individuell, auf Wunsch des Bewohners einstellbar.“

Volker Bossen genießt den Komfort. Das war toll, sagt er, als er nachts mal ins Bad musste und automatisch das Licht angegangen ist. Eigentlich ist der Rentner auf derartige Lösungen nicht angewiesen. „Aber ich werde bequem“, sagt der 72-Jährige. „Meine Frau schimpft schon immer mit mir.“

Was für Bossen reiner Komfort ist, wäre für andere Senioren ein deutlicher Gewinn an Lebensqualität. „Wer stark bewegungseingeschränkt ist, der freut sich über Türen, die sich selbstständig öffnen, Vorhänge, die sich bei blendendem Sonnenschein schließen“, sagt Informatiker Parchmann. Aber erste Auswertungen der Befragungen hätten auch gezeigt, dass Bewohner, die auf den ersten Blick ähnliche Anforderungsprofile besitzen, doch ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Außerdem fühle sich auch nicht jeder Senior auf Anhieb mit einem Tablet in der Hand wohl.

Dabei wird ein wichtiger Aspekt des Projekts über das Tablet gesteuert: Über das eigens eingerichtete Netzwerk können Senioren mit Dienstleistern aus der Umgebung Kontakt aufnehmen, Bestellungen aufgeben, eine Reinigungsfirma beauftragen. Die Frühstücksbrötchen von Herrn Bossen mussten zur Simulation noch Informatik-Studenten vorbeibringen. In Zukunft soll der Bäcker um die Ecke direkt benachrichtig werden. Ebenso soll es den Senioren aber auch möglich sein, sich untereinander zu vernetzen, sich zu verabreden, gemeinsame Unternehmungen zu organisieren, aber auch Nachbarschaftshilfe zu leisten. „Ältere Menschen haben noch ganz viel anzubieten“, sagt Bernd Hillebrandt von der Gesundheitswirtschaft Hamburg GmbH, die das Projekt koordiniert. „Sie können sich gegenseitig helfen und unterstützen.“

Die in der Musterwohnung verbaute Technik ist bereits auf dem Markt erhältlich. Doch bislang sind es eher Firmen, die ihre Gebäude mit intelligenter Technik wie automatischen Jalousien ausstatten. Daher sind die einzelnen Module für den Durchschnittsrentner oft unverhältnismäßig teuer. „Der Markt wird es aber richten“, ist sich Unternehmer Heymann sicher. Bei steigender Bekanntheit und Nachfrage regulierten sich die Preise nach unten.

Um die Technologien bekannter zu machen, treten Hillebrandt und Parchmann an Krankenkassen und Baugenossenschaften heran. „Wir wollen ein Bewusstsein schaffen“, sagt Hillebrandt. Die Menschen würden immer älter, daher sei es sinnvoll, schon heute über den Einbau intelligenter Technologien nachzudenken.

Die Projektlaufzeit ist Ende Juli ausgelaufen. Doch die Musterwohnung soll drei weitere Jahre bleiben. Künftig sollen auch ein paar Senioren für längere Zeiträume einziehen. Vielleicht werden bis dahin ein paar Bilder aufgehängt. Die Wände waren Volker Bossen eindeutig zu kahl für eine richtig gemütliche Wohnung.