Das Betshaus und der Bioladen

MOSCHEE IN HEINERSDORF Ein Streit, ein Theaterstück, ein Buch: „Moschee DE“ von Kolja Mensing und Robert Thalheim

Barfuß stehen wir auf dem Teppich des Gebetsraums. Der „Diener der Gemeinde“ trägt einen Bart. „Der heilige Prophet Mohammed, Friede sei auf ihm“, setzt er an und legt eine Hand auf die Brust. Fast wähnt man sich in der Welt von Tausendundeiner Nacht, so orientalisch-ausufernd erzählt Enrico Isa Musa Menzel. Und sächselt dabei. Im Theater wäre das ein klassischer Verfremdungseffekt. Aber auch die Realität ist zuweilen theatral.

Im März 2006 hat die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde ein brachliegendes Grundstück in Pankow-Heinersdorf gekauft, irgendwo zwischen Gebrauchtwagenhändler und Kentucky Fried Chicken. Eine Bürgerinitiative formierte sich dagegen, Neonazis marschierten auf. Auf der anderen Seite gab es eine Toleranzinitiative. In Heinersdorf war man entweder für die Moschee oder dagegen. Am Ende brannte auf der Baustelle ein Lkw.

Aus diesem ganz realen Grabenkampf haben der Autor Kolja Mensing und der Regisseur Robert Thalheim ein Theaterstück gemacht: „Moschee DE“. Interviews mit 15 Heinersdorfer Bürgern haben sie zu fünf Charakteren verdichtet, die da wären: der Imam, der deutsche Konvertit, der Pfarrer, der Vorsitzende der Bürgerinitiative und die Zugezogene, die sich in dem gemeinnützigen Verein „Heinersdorf öffne dich“ engagiert.

Die Moschee, benannt nach der ersten Frau Mohammeds, ist im Herbst 2008 eröffnet worden. Im Februar 2010 wurde „Moschee DE“ in Hannover uraufgeführt. Zur Buchvorstellung im Jüdischen Weisenhaus am 27. Mai 2011 kamen nur 20 Zuschauer, die Diskussion fiel flach. Lohnt die Lektüre also noch?

Zur Dokumentation des Konflikts taugt der Text nicht, da er zwar aus Originalzitaten konstruiert wurde, aber Aussagen der Bürger verkürzt, zuspitzt und nebeneinander montiert. Wer das moniert, hat nicht verstanden, dass die Rekonstruktion dieses konkreten Falles gar nicht das Ziel der Autoren ist.

Mensing und Thalheim argumentieren auch nicht für eine der Seiten, sondern führen uns am Streit um den Moscheebau beispielhaft vor, wie gern wir vorgeblich politische Themen zur Selbstinszenierung benutzen, wie viel Theatralität ein solcher Konflikt birgt. Diese Absicht verraten sie in einem Interview, das dem Stücktext folgt. Anscheinend haben sie Zweifel daran, dass der Text für sich spricht, und liefern vorsorglich die Deutung gleich mit, damit auch wirklich jeder versteht, worum es ihnen geht: Der Pfarrer schaut neidisch auf die volle Moschee, während seine Schäfchen ausbleiben. Der Vorsitzende, ein klassischer Wendeverlierer, bekommt durch sein Engagement in der Bürgerinitiative endlich Anerkennung. Die Zugezogene will in Pankow Wurzeln schlagen und wünscht sich mehr Gentrifizierung, damit es endlich einen Bioladen gibt und mehr Leute zum Yoga kommen. Aber so ganz lassen sich die Charaktere nicht festlegen.

Man ertappt sich dabei, dass man Sätze des Vorsitzenden unterschreiben könnte, und ärgert sich über den Latte-macchiato-Lebensstil der Zugezogenen, die doch die „Gute“ verkörpert. So torpedieren die Charaktere unsere Vorurteile. Sie verstricken sich in Widersprüche, und gerade daraus wird deutlich, dass sie die Moschee als Bühne für ihr ganz persönliches Theaterstück nutzen. Sie wissen nur nicht so recht, wie sie ihre Rolle ausgestalten sollen. KRISTINA RATH

Kolja Mensing und Robert Thalheim: „Moschee DE. Stück und Materialien“. Mit Fotografien von Alexander Janetzko, Verbrecher Verlag, Berlin 2011, 128 S., 10 Euro