„Das ganze Kollegium macht Hausaufgaben!“

GEMEINSCHAFTSSCHULE Im westfälischen Ascheberg startet im neuen Schuljahr die erste Gemeinschaftsschule. Die Schulleiterin freut sich – trotz politischer Sorgen

■ ist seit 20 Jahren Lehrerin an Hauptschulen. Jetzt ist sie Leiterin der neuen Gemeinschaftsschule Ascheberg, die Vorreiter unter den Gemeinschaftsschulen ist. Die Gemeinde wollte bereits zu CDU-Zeiten den Status haben. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Gemeinschaftsschule in Finnentrop gerade verboten. Grund: Weil die Schulverwaltung vom Erfolg der Reform ausgehe, sei dies kein Schulversuch.

INTERVIEW CHRISTIAN BLEHER

taz: Frau Reimann-Perez, am 7. September beginnt für 125 Kinder der Unterricht in Ihrer Profilschule Ascheberg. Wo vorher Realschule draufstand, ist dann eine Gemeinschaftsschule drin. Wie wollen Sie und Ihr Kollege Guido Meyer diesen Wechsel bewerkstelligen?

Sylvia Reimann-Perez: Zurzeit stellen wir unser Lehrerteam zusammen …

Sie stellen selbst zusammen?

Die Regierung legt uns die komplette Versetzungsliste vor, wir suchen dann aus und entscheiden selbst, inwieweit die Kandidaten wirklich bereit sind, das Projekt mitzutragen. 38 Versetzungsanträge für 10 Stellen hatten wir vorliegen, 10 Stellen neben den beiden Leitungsstellen. waren zu besetzen.

Das werden nicht alles erprobte Reformpädagogen sein.

Nein, einige kommen aus der Hauptschule Hebern, die ich seit zwei Jahren leite, andere aus der Realschule meines Kollegen Meyer, wieder andere von außerhalb. Zwei sind Förderlehrer. Jetzt gilt es, ein Team zu werden.

Wie kann das in der kurzen Zeit gelingen?

Ende März haben wir schon zwei Tage zusammengesessen, um die neue Lehrerrolle zu definieren und um herauszufinden, in welchen Fächern wir Veränderungen vornehmen müssen. Derzeit erstellen wir Kompetenzraster und erarbeiten ein Konzept für Portfolios und Wochenpläne. Alle müssen auch Fortbildungen besuchen. Das Kollegium hat Hausaufgaben! Wir haben die ehemaligen pädagogischen Leiterinnen der Helene-Lange-Schule und der Laborschule Bielefeld zu Gast.

Wochenplan und Freiarbeit – das machen auch Regelschulen.

Wir erfinden nicht alles neu. Aber man kann sich viel ausdenken, und dann unter Druck schnell wieder in das vermeintlich Bewährte zurückfallen. Deshalb sind Projektarbeit und selbstgesteuertes Lernen bei uns feste Bestandteile im Ganztagesprogramm über das ganze Jahr hinweg. Die Lehrerteams werden sich mindestens einmal pro Woche treffen, um Projektskizzen zu entwerfen.

Das klingt nach viel unentgeltlichem Idealismus.

Die ersten zwei, drei Jahre sind mit Mehrarbeit verbunden, das lässt sich nicht vermeiden. Ganz Nordrhein-Westfalen schaut auf uns.

Mancher Politiker hat sich gefreut, dass die Gerichte die NRW-Modellschule Nummer 14 im sauerländischen Finnentrop nicht genehmigten.

Das alles hat mich sehr besorgt. Ich habe im Ministerium angerufen, da hat man versucht, mich zu beruhigen. Das Verbot der Profilschule Finnentrop ein Desaster. Das Kollegium war eingestellt, die Eltern hatten sich entschieden.

Die Eltern scheinen überhaupt eine wichtige Rolle zu spielen, wenn es darum geht, eine neue Schulform wie die Gemeinschaftsschule zu etablieren.

Ich denke immer darüber nach, wie ich Eltern vermitteln kann, warum längeres gemeinsames Lernen so wichtig ist. Wir meinen, es darf eben kein Kind aussortiert werden. So manche starten erst spät richtig durch. Bei uns wird jedes Kind bestmöglich gefördert und kann den bestmöglichen Abschluss erreichen, auch das Abitur.

Manche Eltern fürchten, ihr gymnasiumsreifes Kind werde im Mittelmaß untergehen.

Diese Eltern haben zumeist selbst nur Frontalunterrichtsformen erlebt. Deshalb werden wir auch einen Probeunterricht anbieten. Und es ist eben etwas ganz anderes, ob man alle lernschwachen Schüler in eine eigene Klasse steckt oder ob in einer gemischten Klasse vielleicht fünf dabei sind. Aus unseren drei Grundschulen in Ascheberg wechseln übrigens so gut wie alle Kinder auf die Profilschule, nur zwei, drei gehen auf ein Gymnasium. In der künftigen Schülerschaft der Profilschule hat aber etwa ein Viertel eine Empfehlung fürs Gymnasium. Ein Viertel müsste auf die Hauptschule gehen, die Hälfte auf die Realschule.

Eine ziemlich bunte Mischung.

Wir laden schon vor den Sommerferien alle Schüler an die Schule ein. Und wir werden drei Wochen nach Schulbeginn mit allen 125 Schülern und dem gesamten Kollegium eine Kennenlernfahrt unternehmen.