Babymangel – nur aus deutscher Sicht

UNO: Weltweit wächst die Bevölkerung weiterhin rascher als erwartet, vor allem in den ärmsten Ländern. Pro Jahr werden 23 Millionen ungewollter Kinder geboren, dabei kann eine Frau mit 13 Euro jährlich ungeplante Schwangerschaften verhindern

VON NICOLA MOHLER
und COSIMA SCHMITT

Sie klagen über Babyflaute und Kindermangel. Fast täglich bemängeln deutsche Politiker die Leere in den Kreißsälen und Kinderzimmern. Global gesehen aber hat die Welt eher das umgekehrte Problem: Die Menschen pflanzen sich allzu bereitwillig fort. Jedes Jahr kommen 78 Millionen Menschen dazu. „Vor allem die am wenigstens entwickelten Länder wachsen immer noch rasant“, sagte Catherina Hinz, Pressesprecherin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, die gestern in Berlin die neuesten UN-Zahlen vorstellte. Demnach wird die Menschheit stärker wachsen als bislang erwartet.

Bis 2050 werden auf der Erde 9,2 Milliarden Menschen leben. Heute sind es 6,7 Milliarden. Auch in Zukunft werden die meisten Menschen in Asien leben. Indien wird China überholen und das bevölkerungsreichste Land der Erde sein. In Afrika werden 2050 etwa doppelt so viele Menschen leben wie zurzeit. Einzig in Europa wird die Bevölkerung schrumpfen.

Alle zwei Jahre verkündet die UN ihre neuesten Berechnungen, wie sich die Weltbevölkerung entwickeln wird. Teilweise musste man die vergangenen Prognosen korrigieren, räumte gestern Carl Haub, Demografieexperte vom Population Reference Bureau, ein. So habe sich das Bevölkerungswachstum zwar global gesehen verlangsamt. Gerade in den Ländern aber, wo sich die Probleme bündeln, ist Familienplanung noch nicht so verbreitet wie erhofft. „In den 50 ärmsten Ländern der Welt wird die Bevölkerung sich bis 2050 mehr als verdoppeln“, sagt Hinz. Deshalb müsse dort in Aufklärung und Familienplanung investiert werden.

Derzeit hätten afrikanische Männer teilweise nur sieben Kondome pro Jahr zur Verfügung. Mehr als 200 Millionen Frauen können nicht verhüten, obwohl sie das gerne möchten. So werden Jahr für Jahr etwa 23 Millionen ungewollter Kinder geboren. Dabei könne man eine Frau in einem Entwicklungsland schon mit 13 Euro im Jahr vor ungewollter Schwangerschaft schützen, so Hinz.

Dass andernorts die Verhütung und Familienplanung durchaus intensiv betrieben wird, verursacht indes ein anderes Problem: Weltweit wird die Bevölkerung immer älter. 2050 werden auf der Erde erstmals mehr Menschen über 60 als Kinder unter 15 Jahren leben. Besonders drastisch ist die Lage in Europa. Hier werden Mitte des Jahrhunderts doppelt so viele alte Menschen wie Kinder leben.

Gerade die Deutschen erwarten düstere Zeiten. Hier ist die Geburtenrate so niedrig wie in Osteuropa oder Spanien, die Überalterung fällt drastischer aus als selbst im westeuropäischen Durchschnitt: Fast jeder fünfte Deutsche ist über 65, nur 14 Prozent sind noch keine 15 Jahre alt. Dass sich zu viele Kinder auf diesem Planeten tummeln, mildert diesen Befund nach Ansicht von Hinz nicht ab. „Das Problem ist ja, dass man Kinder genau wie Wasser nicht mal eben so umverteilen kann“, sagt Hinz. „Es ist für eine Gesellschaft wichtig, dass sie in der Balance bleibt.“ Auch Haub findet das Ziel richtig, verweist aber auf den Interessenskonflikt. „Steigt die Geburtenrate, haben wir auch mehr Menschen, die Rohstoffe verbrauchen und die Umwelt verschmutzen“, sagt Haub. Wie viel Menschen die Erde verkraften kann, hänge nicht nur von ihrer Gesamtzahl ab – sondern auch von ihrem Konsumhunger.

Dass Deutschland das Schicksal als vergreisende Nation erspart bleibt, bezweifeln die Experten. Weder die Zuwanderung – die derzeit den Bevölkerungsrückgang abmildert – noch eine gute Familienpolitik können laut Hinz den Trend wenden. Sie verweist auf Tabellen, die diese Skepsis untermauern: So setzte in Deutschland der Einbruch der Geburtenrate sehr früh ein. Sobald die Frauen die Pille bekommen konnten, nutzten sie sie weidlich. Wegen ein bisschen Elterngeld werde sich das nicht grundlegend ändern. Ebenso wichtig sei es, die Potenziale der Alten zu nutzen.

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