Abgeschmuste Kuscheltiere

DONAUESCHINGER TAGE FÜR NEUE MUSIK Unter dem Motto „und+“ wurden nichtmusikalische Werke von Komponisten ins Zentrum gerückt: Wie klingen eigentlich Skulpturen?

Einige Kompositionen sortieren das Lautmaterial gesprochener Texte, sie verwenden diese als Musik

VON TERESA ROELCKE

„Das funktioniert aber nicht, oder?“ Ein Ausstellungsbesucher steht vor einem Objekt, das Jennifer Walshe, die irische Komponistin und bildende Künstlerin, hergestellt hat: Es ist ein Kuscheltiermarimbafon. Ihre Skulptur besteht aus 14 abgeschmusten Kuscheltieren, von denen zwölf wie die Halbtöne einer Oktave auf einer Klaviertastatur angeordnet sind. Die anderen zwei Kuscheltiere bilden jeweils den vorderen Teil eines Schlägels.

Etwas frustriert versucht der Betrachter mit einem dieser Schlägel, dem kleinen Elefanten auf der Position des Fis einen Ton zu entlocken, indem er seinen Bauch anschlägt – ohne Erfolg. Lediglich der Eisbär, dessen Vorderseite mit winzigen Noten bestickt ist, gibt etwas Hörbares von sich, nämlich das Rieseln des Sandes, mit dem sein Bauch gefüllt ist. Aber alles in allem bleibt das Kuscheltiermarimbafon stumm.

Walshes Skulptur ist Teil einer Ausstellung, die die Donaueschinger Tage für Neue Musik begleitet und das Herz des Festivals bildet. Alle Exponate stammen auch von eingeladenen Komponisten. Nicht ihre Partituren sind zu sehen, sondern Skulpturen, Installationen, Zeichnungen und Grafiken. Denn das diesjährige Motto der traditionsreichen, seit 1921 existierenden Musiktage heißt „und+“. Und damit stehen solche Komponierende im Zentrum des Festivals, die neben der Musik auch andere Kunstformen betreiben.

Es geht also nicht um hybride Werke, die etwa Musik und Performance in sich vereinen, sondern um Künstlerpersönlichkeiten, die für ihre Tätigkeit unterschiedliche, autonome Medien wählen, die dann auch auf interessante Weise aufeinander verweisen. Walshes Kuscheltiermarimbafon passt in dieses Konzept, schließlich gibt ihre Skulptur keinen Ton von sich, sie verweist lediglich auf die Musik.

Richtiges Hybrid

Was dagegen nicht zur Konzeption der autonomen Kunstformen passt, ist Walshes Performance-Komposition „The Total Mountain“ lebt von den häufig ironischen Bezügen zwischen Video, Gesang und tänzerisch-gymnastischer Performance. Ein richtiges Hybrid also. Und auch viele der anderen Uraufführungen verschmelzen unterschiedliche Kunstformen, statt sie fein säuberlich nebeneinanderzustellen. Einige Kompositionen sortieren das Lautmaterial gesprochener Texte neu und verwenden die gesprochene Sprache als musikalisches Material.

In einer Konzertinstallationen imitieren die Musiker Gesten aus einer Videoprojektion. Dafür gibt es bei „points & views“, einem Werk des Österreichers Peter Ablinger, tatsächlich eine je 16-teilige Fotoserie und Komposition, die mit den gleichen Materialien arbeiten: darunter etwa eine Schallplatte mit Bibeltexten, eine Kassette zum Erlernen eines chinesischen Dialekts und abgewickelte Tonbandschleifen. Auch die Moiré-Zeichnungen der Kanadierin Chiyoko Szlavnics beschäftigen sich mit ähnlichen Interferenzeffekten wie ihre Komposition: Ständig neue Harmonien entstehen aus Glissandolinien und lange liegenden Tönen, die sich manchmal minimal verändern.

Der Orchesterpreis vom SWR Sinfonieorchester wurde Simon Steen-Andersens Werk „Piano Concerto“ zuerkannt. Vorgreifend wurde letztes Jahr in einer Industriehalle ein Konzertflügel von der Decke gestürzt und dabei gefilmt, um anschließend wieder zusammengebaut und erneut bespielt zu werden. Steen-Andersen arbeitet geschickt mit dem Wechsel zwischen den charmanten Klängen der schnarrenden, verstimmten Saiten des geflickten und denen eines herkömmlichen Konzertflügels und lässt auch das Orchester teilhaben an dem neu erschlossenen klanglichen Fundus des kaputten Instruments. Wie von der Idee, ein geborstenes Instrument zum Zentrum einer Komposition zu machen, lebten viele der Uraufführungen von einem ausgeprägten Humor, teilweise fast an der Grenze zum Albernen. Gerade Hybridität spielte dabei eine wichtige Rolle; Stücke wie das von Jennifer Walshe bezogen genau daraus ihre Stärke.

Übliche Verdächtige

Daneben konnte man einige gut komponierte Stücke alter Meister bewundern, quasi neue Werke in bewährtem Stil; darunter Fundstücke wie Salvatore Sciarrinos „Carnaval“. Das Publikum, bestehend aus den üblichen Verdächtigen der Neuen-Musik-Szene – Komponisten, Veranstalter und Journalisten –, aber auch einem guten Teil interessierter Laien, kommentierte die Uraufführungen eifrig mit Jubel- oder Buhrufen, manchmal auch mit einer Mischung aus beidem.

Außerdem wurde eine Personalentscheidung bekannt gegeben: Ab 2017 wird Björn Gottstein die Festivalleitung von dem dann in Ruhestand tretenden Armin Köhler übernehmen, der aufgrund einer schweren Erkrankung nicht zu den Musiktagen anreisen konnte. Gottstein, Musikjournalist unter anderem für die taz, arbeitet inzwischen als Redakteur für Neue Musik bei SWR2 in Stuttgart, ist dort verantwortlich für die Konzertreihe „attaca“ sowie einer der beiden künstlerischen Leiter des Stuttgarter Eclat-Festivals.