schurians runde welten
: Gefangene im Denksystem

„Ich lege meine Zukunft in die Hände der Öffentlichkeit.“ (Erik Zabel)

Wenn ich ehrlich bin, wollte ich gar nicht sehen, wie Rolf Aldag und Erik Zabel in die Kameras heulten. Was geht es uns an, ob die beiden Radrennprofis aus Nordrhein-Westfalen ihr Blut andickten oder den Hintern cremten? Auch wenn es viele meinen: Es gibt kein Recht auf sauberen Sport, saubere Athleten. Trotz Medienzeitalter existiert kein Grundrecht auf ehrlichen Fernsehgenuss mit makellosen Helden. Und da ich weder gegen Zabel noch gegen Aldag Radrennen gefahren bin, dessen Ausgang beide offenbar manipuliert haben, trug ich keinen Schaden davon. Gut, sie haben gelogen und betrogen – aber dass immerhin so pfiffig, dass mir die beiden Ruhrgebietsbewohner ans Herz gewachsen sind. Daran ändert auch ihre Beichte nichts.

Es geht bei den Doping-Sündern (sic!) gar nicht ums Recht, sondern um Moral; was im Sport aber etwas ganz anderes ist als in der Kirche. Wer auf dem Sattel Moral zeigt, der quält sich, holt alles aus sich heraus. Und wer will das ausgerechnet Aldag und Zabel absprechen? Sie haben ihr Sportlerherz gezeigt, sie haben es sogar riskiert.

Schlimmer als vollgepumpte Sportler sind aufgepumpte Fernsehjournalisten. 15 Jahre Kernerarbeit und Beckmannismus haben das Land so verändert, dass erwachsene Männer vor Mikrophonen weinen müssen – Beckmann und Kerner sind die Inquisitoren unserer Zeit. Sie klagen Menschen an. Ob das der schummelnde Schiedrichter Robert Hoyzer war, der sich rechtfertigen musste, als würden ihm Kriegsverbrechen zur Last gelegt und nicht zerrissene Tippscheine und ein flacher Fernseher (der übrigens nicht ganz unschuldig daran ist, dass es der Schieber normal fand, sich ausquetschen zu lassen von selbst ernannten Fernsehrichtern im Namen der Quote). Oder ob es Jan Ullrich traf, an dem Beckmann seine nächste Strafexpedition vornahm. Erst radelte er mit dem Jahrhunderttalent Ulle in aller Freundschaft und Promigeilheit um die Wette, dann ließ er ihn eiskalt fallen, siezte den Verstörten. Andere feierten eine Sternstunde des unabhängigen Journalismus, ich habe mich geekelt.

Apropos Anklagebank, warum gehört der übermedikamentierte Radfahrer darauf, nicht aber das „Denksystem“ (Aldag), das sie zu strahlenden Helden machte und zu Werbeträgern? Die gebührenfinanzierte ARD war ein Sponsor der Telekom-Radler. Genau dort, wo die getunten Blutpumpen arbeiteten, prangte das Logo des Ersten Programms.

Seit ein paar Monaten hat die ARD mit Hajo Seppelt endlich einen Dopingexperten. Das ist gut so – aber auch ein wenig wie ein Klimaschutzbeauftragter bei RWE oder Eon. CHRISTOPH SCHURIAN