AFGHANISTAN VERSINKT IMMER TIEFER IM KRIEG
: Verheerende Offensive

„Wenn es eine Frühjahrsoffensive gibt, sollte es unsere Offensive sein“, hatte US-Außenministerin Condoleeza Rice beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel im Januar gesagt. Angesichts des Irakdesasters dringend um Erfolg in Afghanistan bemüht, bereiten die USA seit Monaten den Boden für ein verstärktes militärisches Vorgehen gegen die Aufständischen am Hindukusch vor. Um die Bündnispartner einzuschwören, wird nicht nur das falsche Bild einer homogenen Gruppe von Taliban bemüht, deren „Frühjahrsoffensive“ man zuvorkommen müsse. Auch an der hiesigen Front wurden die Nato-Partner zunehmend offensiv an die Erfüllung ihrer Bündnispflicht erinnert, um den Kurs des militärischen „Weiter so“ zu verfolgen. Obwohl Berlin nicht müde wird, das Primat des Zivilen beim deutschen Engagement in Afghanistan zu betonen, werden ab April wohl auch deutsche „Tornados“ an der Frühjahrsoffensive der Nato beteiligt sein, die gestern begonnen hat.

Berlin handelt in der Hoffnung, dass sich das Blatt doch endlich wenden möge, bevor die Forderung nach deutschen Bodentruppen allzu laut erhoben wird. Das Blatt wendet sich – allerdings zunehmend gegen die internationalen Truppen. Am Sonntag erst starben zehn Zivilisten im östlichen Dschalalabad, als amerikanische Marineinfanteristen angesichts eines vermeintlichen Selbstmordanschlags auf ihren Konvoi wahllos um sich feuerten. Dass sie dann die anwesenden Journalisten bedrohten und deren Bildmaterial löschten, dürfte nicht eben als vertrauensbildende Maßnahme gewirkt haben. Die Akteure gehörten zur Operation Enduring Freedom (OEF). Und am selben Tag starben weitere neun Zivilisten, als Nato-Soldaten ein Wohnhaus in Kapisa bombardierten.

Das Image des Helfers in Uniform, der die Herzen der Bevölkerung gewinnt, macht zunehmend dem Bild des Besatzers Platz. Dass die kriegsmüden Afghanen nicht zwischen OEF und Nato unterscheiden, bewiesen einmal mehr die gestrigen Demonstrationen in Dschalalabad, bei denen Studenten den Tod aller ausländischen Truppen forderten. Ihre Herzen werden mit dem unbeirrten Festhalten an einer militärisch dominierten Strategie nicht zu gewinnen sein. ANETT KELLER