Lärm der Herzchen

Florian Fiedler inszeniert „Kabale und Liebe“ im Gorki-Theater, als wäre junge Liebe nur ein billiger Scherz

Draußen hochsommerliche Schwüle, drinnen wird gehustet, als sei es tiefster Januar. Zwar nicht von Anfang an, doch als die Pausen in der Inszenierung länger werden, geht die Fraktion der Kampfhuster zum Angriff über. Irgendwann wird es schwierig, dem stark gekürzten Text zu folgen. Dabei dauert dieser Abend nur knappe zwei Stunden, und er hätte, wie es Schiller ursprünglich geplant hatte, einfach „Luise Millerin“ heißen können.

Da steht sie mit selig glänzendem Blick an der Rampe und kann nicht anders. Sieht nichts außer ihrem Ferdinand, der mit Drang durch die Schwingtür stürmt und ihr einen billigen Ghettoblaster schenkt. Sie tanzen, verhalten zunächst, dann zunehmend wild. Sie: die Bürgerstochter im schlecht sitzenden Jeanskleid, betont unbeholfen bei Hanna Eichel. Er: der Adelssohn im Anzug, bei Florian Stetter narzisstisch verliebt. Dem schüchternen Armeschlenkern macht Herr Miller ein jähes Ende, denn Väter, so wollen es die bürgerlichen Trauerspiele, sind eifersüchtige Hüter ihrer Töchter. Über drei Rückspiegel an der Decke (Bühne: Annette Riedel) beobachtet er die Tändelei, grabscht cholerisch nach seinem Kind und der Flasche, bevor er das Geschenk des Liebhabers an die Wand schleudert.

Nicht die Standesschranken, sondern das inzestuöse Verhältnis zu den Eltern steht in der Inszenierung von Florian Fiedler zwischen den Liebenden, und darum hat Ferdinand keinen patriarchalischen Papa, sondern eine sanfte, zärtlich intrigante blonde Mama. Ruth Reinecke tritt als Präsidentin in Nadelstreifen auf rwirrten Gefühle zertrümmert (Kostüme: Selina Peyer) und kündigt ihrem Sohn eine karrieretechnisch günstige Heirat mit Lady Milford an. „Und das begeistert dich nicht?“ Der Sohn muckt auf: „Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die Ihrigen sind – in meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben.“ Seine Herzenswünsche wechseln schnell, bald schon reißt er Lady Milford die Kleider vom Leib, kehrt zur immer noch lächelnden Luise zurück und macht – zum wievielten Mal an diesem Abend? – den CD-Player an.

Kurzatmig, mit verspielten Nettigkeiten hüpft die Inszenierung von Florian Fiedler, Jahrgang 77 und zurzeit Hausregisseur am Frankfurter Schauspiel, von Szene zu Szene. Es werden Herzchen gesprayt und Tänzchen gemacht, als wäre jung und verliebt sein nichts als ein billiger Scherz. Auf der Höhe der verwirrten Gefühle zertrümmert Ferdinand den Recorder, springt auf den Einzelteilen herum, bis die Musik endlich ausgeht. Langfristig ist das Ding leider nicht totzukriegen, „Love is a burning thing“, spielt es aus den Einzelteilen, und aus dem Parkett kommt ein minutenlanges Husträuspergeräusch.

Michael Klammer schleimt unterhaltsam als opportunistischer Hofmarschall von Kalb (rosa Krawatte, weil schwul). Ronald Kukulies, proper glänzende Igelfrisur, scharwenzelt als Sekretär Wurm um Luise und nötigt sie, einen falschen Liebesbrief zu schreiben. Doch das Love kunstvolle Intrigengespinst will in der gekürzten Fassung nicht recht aufgehen. Irgendwann steht Luise wieder einsam an der Rampe, ein abrupter Lichtwechsel kündigt Tragik an. Innig, ernst, mit irrlichterndem Blick spricht sie ihren Schlussmonolog, trägt die Vorwürfe des Vaters und des Liebhabers im eigenen Kopf aus und schüttet sich das Pulver selbst in den Sirup. Black.

Soll alles nur ein Traum gewesen sein, ein Melodram in der Vorstellung eines missbrauchten Mädchens? Die Regie hat diesen Love Notausgang nahegelegt. Die Dimension des Aufbegehrens gegen Autoritäten, gegen erstarrte Strukturen hat Fiedler jedenfalls nicht interessiert. IRENE GRÜTER

Wieder im Gorki Theater am 27./31. Mai und 9./12./25. Juni