Nicht so reizend, bitte!

Für Allergiker ist Naturkosmetik in den meisten Fällen eine gute Alternative zu herkömmlichen Produkten. Völlige Sicherheit vor dem Brennen auf der Haut aber bieten auch diese Produkte nicht

Jeder dritte Erwachsene leidet an Allergien: Heuschnupfen, Asthma, Nesselsucht, Kontaktekzem und Neurodermitis haben sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker verbreitet. Der Körper erkrankt an einer Allergie, wenn das Immunsystem auf bestimmte Stoffe aus der Umwelt falsch reagiert. Diese Reaktion nennen Mediziner „überschießend“: Die körpereigene Abwehr geht gegen Stoffe vor, die gar keine Bedrohung für die Gesundheit darstellen. Normalerweise sollte der Körper nur Krankheitskeime bekämpfen. 90 Prozent der Betroffenen ergeben sich ihrem Schicksal, ohne sich beim Arzt korrekt behandeln zu lassen. Aber Mediziner können in vielen Fällen zumindest Linderung bewirken.

VON CHRISTOPH RASCH

Es begann vor neun Jahren, im Austauschjahr in den USA: Die Haut der Berliner Studentin Jenny Schleider* zeigte damals, inmitten von zu viel Sonne und zu viel Stress, ungewöhnliche Reaktionen. Es juckte und schmerzte. Die Diagnose, damals vor neun Jahren: Neurodermitis. „Seitdem bin ich pausenlos auf der Suche nach verträglicher Kosmetik“, sagt Jenny heute. Probiert die 29-Jährige in der Drogerie einmal die falsche Creme, beginnt ihre Haut sofort zu brennen. Inzwischen hat sie sich ein sanftes Pflegerepertoire zugelegt, von der Melkfettseife bis zur Lavendel-Bademilch.

Ob Neurodermitis oder klassische Hautallergien: die Symptome bei extrem empfindlicher und leicht reizbarer Haut sind oft sehr ähnlich – und die Betroffenen wissen nur zu genau, dass das Produktsortiment in Drogerien und Kosmetikläden ein wahres Minenfeld sein kann. Zum Beispiel die Lotionen, die Hautschutz und Feuchtigkeit versprechen: „Leider enthalten viele dieser Produkte auch Stoffe, die die Haut reizen, Allergien auslösen oder sogar krebsverdächtig sind“, warnen die Experten des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Kein Wunder. Bei der Herstellung all der Cremes, Parfüms und Make-up-Varianten werden, so schätzen Experten, mehr als 6.000 unterschiedliche Stoffe verarbeitet – und zusätzlich rund 2.500 Duftstoffe. „Viele dieser Substanzen sind potenzielle Allergieauslöser“, warnt die Ärztin Katharina Larisch: „Jeder Vierte hat schon einmal unter einer Unverträglichkeit gelitten, die oft mit Rötungen der Haut und Juckreiz einhergeht.“ Medizinportale wie „Netdoktor.de“ listen die häufigsten Auslöser von Allergien auf – es sind vor allem die Duftstoffe, Haarfarben und Konservierungsstoffe.

Situationen wie diese sind deshalb keine Seltenheit: „Nachdem ich meine alte Wimperntusche benutzt hatte, bekam ich heftigen Ausschlag an den Augenlidern“, berichtet Tina (31) aus Bonn: „Ich hatte am Ende richtig kleine Elefantenaugen, es war schrecklich.“ In der Apotheke riet man der jungen Frau zu Wimperntusche ohne Duftstoffe und ohne das aus Harzen bestehende Kolophonium, „das war damals noch ein Geheimtipp“. Seitdem habe sie nie mehr allergische Reaktionen gehabt.

Immer mehr Menschen mit reizbarer Haut und allergischen Reaktionen greifen auf Naturkosmetik zurück, auf relativ einfache Rezepturen ohne synthetische Duftstoffe, die bei Allergikern besonders zu Reizungen und entzündlichen Hautreaktionen führen können. Zudem kommen die Naturprodukte ohne Alkoholzusätze aus – allein das macht sie schon hautfreundlicher. Auf der anderen Seite unterstützen Zutaten wie Nachtkerzenöl die Hautregeneration und beugen Irritationen vor.

„Der Trend hin zu natürlichen Kosmetikprodukten ist auch eine Konsequenz der Zunahme von Allergien infolge wachsender Schadstoffbelastung“, glaubt der Bundesverband Deutscher Industrie- und Handelsunternehmen, kurz BDIH. Der Industrie-Zusammenschluss hat für Arzneimittel und Körperpflegemittel deshalb die Initiative „Kontrollierte Naturkosmetik“ ins Leben gerufen – inklusive Naturgütesiegel zur besseren Information der Verbraucher, insbesondere der Allergiker.

„Kontrollierte Naturkosmetik“ enthält sogenannte naturreine Duftstoffe, ein wichtiges Kriterium speziell für die von Allergien Betroffenen, die bei herkömmlichen Pflegeprodukten nicht immer nachvollziehen können, was wirklich enthalten ist. Rund „5 bis 10 Prozent der rund 30 Millionen Allergiker in Deutschland“, schätzt der BDIH, reagieren auf bestimmte Inhaltsstoffe, insbesondere auf synthetische Farb- und Konservierungsstoffe: „Wer ‚Kontrollierte Natur-Kosmetik‘ verwendet, weicht diesen Stoffgruppen aus.“

Doch: Auch natürliche Bestandteile können mitunter Allergien auslösen, wie etwa pflanzliche Haut- und ätherische Öle – oder Inhaltsstoffe wie Vanillin. Grund genug für den bundesweiten Verein Verbraucher Initiative, hier zu relativieren: „Es gibt kein Produkt, auch kein natürliches, auf das nicht doch jemand empfindlich und allergisch reagieren könnte.“ Natürliche Körperpflegemittel und Kosmetika sind zwar nicht gänzlich ohne Risiko für Allergiker, aber – da besteht unter Experten Einigkeit – insgesamt reizärmer als konventionelle Kosmetika.

* Name geändert