„Mit den Taliban muss man verhandeln“

Der Einmarsch in Afghanistan stand von Anfang an unter keinem guten Stern, sagt der Politologe Mahmood Mamdani. Deutschland sollte die Nato zum Strategiewechsel drängen. Ein Abzug zum jetzigen Zeitpunkt ist aber nicht realistisch

MAHMOOD MAMDANI, 61, lehrt als Professor of Government und Direktor des Instituts für afrikanische Studien an der Columbia University in New York. Der Politikwissenschaftler und Anthropologe wuchs als Kind indischer Einwanderer im ugandischen Kampala auf. Sein Buch „Guter Moslem, böser Moslem“ über die amerikanische Außenpolitik und die Wurzeln des Terrors erschien 2006 auf Deutsch (Nautilus Verlag).

taz: Herr Mamdani, die Lage in Afghanistan verschlechtert sich fast täglich. Was ist Ihrer Meinung nach schiefgelaufen?

Mahmood Mamdani: Die Intervention dort war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Es war klar, dass Afghanistan nicht nur ein Rückzugsgebiet, sondern auch eine Geisel von al-Qaida war. Die Taliban sind in den Neunzigerjahren an die Macht gekommen – auch mit westlicher, insbesondere US-amerikanischer Hilfe. Allein aus eigener Kraft hätten sie nicht über Afghanistan herrschen können, dafür reichte die Unterstützung aus der Bevölkerung nicht aus. Nach dem 11. September haben die USA durch ihre Invasion die Taliban dann einfach durch ein anderes Regime ersetzt, das heute sogar über noch weniger Rückhalt in der Bevölkerung verfügt als einst die Taliban.

Treten Sie etwa für Verhandlungen mit den Taliban ein?

Die Taliban ziehen aus der fortschreitenden Entfremdung der Bevölkerung von der jetzigen Regierung den größten Nutzen – und das, obwohl sie für die Exzesse der Vergangenheit, für den Terror gegen Frauen und die nichtpaschtunische Bevölkerung verantwortlich waren. Doch je eher also Gespräche mit den Taliban aufgenommen werden, desto besser wäre das für die afghanische Bevölkerung. Denn dann würde der Wettbewerb zwischen den Kontrahenten nicht mehr durch Gewalt, sondern politisch ausgetragen, und die Regierung wäre gezwungen, um mehr Rückhalt in der Bevölkerung zu werben.

Versucht sie das nicht schon?

Dieses Regime ist überhaupt nicht daran interessiert, sich dieses Rückhalts zu versichern. Denn um mehr politische Unterstützung zu bekommen, wäre es nötig, die eigene Macht zu teilen und das eigene Programm für andere Vorstellungen zu öffnen. Gerade aufgrund der Unterstützung, die sie durch die USA und durch die Nato genießt, ist die Regierung um Hamid Karsai daran aber nicht sonderlich interessiert.

In Deutschland hat nach dem Attentat auf eine Bundeswehr-Patrouille wieder eine Debatte über den Sinn der Afghanistan-Mission eingesetzt. Würden sie der deutschen Regierung denn zum Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan raten?

Ich glaube nicht, dass eine einzelne Regierung jetzt einfach ihre Truppen abziehen kann. Das gilt erst recht für eine so wichtiges Land wie Deutschland. Die deutsche Regierung müsste nun vielmehr ihren politischen Einfluss in der Nato nutzen, um dort auf eine andere Strategie zu drängen. Die deutsche Regierung hat, gerade weil sie sich an der Nato-Invasion beteiligt hat, eine Verantwortung, neue Wege zu finden. Sie kann in dieser kritischen Situation nicht einfach weglaufen.

Wie betrachten Sie die Lage in Afghanistan im Vergleich zu der US-Besetzung des Irak?

Der amerikanische Einmarsch in Afghanistan und die Besetzung des Irak haben ein ganzes Bündel von Problemen geschaffen. Der Nahe Osten wird ja im Grunde von Diktaturen mit teils säkularer, teils religiöser ideologischer Ausrichtungen regiert. In ihrer erstaunlichen Blindheit haben die Vereinigten Staaten einfach eines dieser Regime gestürzt, ohne irgendeine Vorstellung davon zu haben, was danach kommen sollte. Dadurch ist für die Bevölkerung eine entsetzliche Situation entstanden. Der Irak ist heute ein Spielball für jede erdenkliche politische Strömung im Nahen Osten geworden.

Welche Lehre hat die gegenwärtige US-Regierung aus diesem Desaster gezogen?

Die US-Regierung benimmt sich immer noch wie ein Spieler, der, nachdem er die ganze Nacht hindurch verloren hat, bis zum Morgengrauen den Einsatz noch erhöht – in der vagen Hoffnung, die Verluste dadurch wieder einspielen zu können. Die USA wollen offenbar das jetzige Schlachtfeld im Irak in den Iran verlegen. Sie wollen dort aber keine Bodentruppen einsetzen, sondern den Iran entweder selbst aus der Luft bombardieren oder dies durch einen Stellvertreter wie Israel tun lassen. Eine unglaubliche Zerstörung wäre die Folge. Und all diejenigen, die fürchten, als nächstes Angriffsziel auf der Liste der USA zu stehen, verhalten sich entsprechend. Sie wären ja dumm, wenn sie warten würden, bis die Amerikaner zu ihnen kommen.

Sehen Sie in den USA denn noch keine Anzeichen für einen Kurswechsel?

Es gibt Auseinandersetzungen in der politischen Klasse – zwischen denen, die regieren, und denen, die regieren wollen. Die Kongresswahlen haben nicht nur gezeigt, dass die Bevölkerung in den USA immer kriegsmüder wird – sie hat auch Angst. Aber ich glaube nicht, dass die politische Klasse in der Lage ist, echte Alternativen zu entwickeln. Der Anstoß zu einer solchen Debatte muss vielmehr von nichtoffiziellen, außerparlamentarischen Kräften kommen.

INTERVIEW: MARTIN FORBERG