agenda 2010
: Worte sind Waffen

PETER ORTMANN ist Kulturchef der taz nrw. Die Liedzeilen stammen heute von „Happy Jack“ Pete Townsend (Who).

The kids couldn‘t hurt Jack,

They tried, tried, tried.

They dropped things on his back,

They lied, lied, lied, lied, lied.

Die Todesnachricht kam während des Schreibens. Meine ursprünglichen Gedanken schweifen ab. Das „Café Deutschland“ ist geschlossen. Für immer. Jörg Immendorf hat aufgehört zu malen. Bei der ersten RuhrTriennale unter Gerard Mortier schien er noch ganz fit zu sein. Hatte bei der Vorstellung seines Banners im Oberhausener Gasometer nur Jetlag nach einer Chinareise. Dennoch hat er mein DIN A4-Exemplar signiert. Dazu brabbelte er was von „viel zu voll hier“ und „ich muss erst mal pennen“. Es wurde meine letzte persönliche Begegnung mit einem Maler, dessen Arbeiten mich seit den 1970ern immer begleitet haben.

Kommen wir vom „Café Deutschland“ zum „Warenhaus Ruhrgebiet“. Zum Paradox zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zum Wesentlichen bei der Europäischen Kulturhauptstadt 2010 – der Kunst. Die ist in dieser Region reichlich vorhanden. Quasi flächendeckend in jeder Qualität, in jeder Spielart, Technik, Sparte. Das Angebot überwiegt die Nachfrage. Was das heißt, wissen alle: Die Preise sinken. Und damit vergrößert sich die Not, bis hin zur kostenlosen Selbstausbeutung. Doch gleich eine Warnung, für alle die glauben an der Kulturhauptstadt mittun zu müssen. Nur Dabeisein ist nicht alles. Der angebotene Raum ist in Wirklichkeit nur Fläche. Eine kapitalistische Werbetafel, bei dem die Künstler schnell zu Opfern ihrer eigenen Verwertbarkeit werden. Wie schleichend dieser Prozess abläuft, kann jeder im Programm-Vorwort von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zur Extraschicht am nächsten Wochenende nachlesen. Kultur wird reduziert auf „Kristallisationspunkte für mehr Wachstum“, sie „setzt ehemalige Industriestandorte gekonnt in Szene“ und der sprachliche Gau: Sie tut das mit einem „hochwertigen“ Kulturprogramm.

Mit diesem Adjektiv wird weltweit im Grunde genommen jeder Mist angepriesen. Wer das nicht glauben will, sollte mal bei Ebay nachschauen. Was hat der Oberste vom Ganzen und Kulturchef des Landes NRW also damit gemeint? Für „hervorragend“ oder wenigstens „toll“ reicht es bei Regional-Kultur wohl nicht. Zu „wertvoll“ schon mal gar nicht. Wenn Rüttgers wenigstens „hochwertig“ qualifiziert hätte. So in „kulturell hochwertig“ oder „künstlerisch hochwertig“. Ich glaube, es wurde bewusst nicht getan. Dieses Vorwort entlarvt den Umgang der Landespolitik mit heimischer Kultur, die in Zukunft nur als billige, aber „hochwertige“ Staffage dienen soll. Für „richtige Kunst“ muss man nämlich viel Geld bezahlen. Deren Macher sind allerdings „namhaft“ oder „international renommiert“. Auch Worte sind Waffen.

PETER ORTMANN