Manche mochten’s bunt

TV-GESCHICHTE Bluescreens, Pop-Art, televisuelle Lagerfeuer: Eine Ausstellung in der Deutschen Kinemathek zeigt „Experimentelles Fernsehen der 1960er und 70er Jahre“

VON EVA MÜLLER-FOELL

Es war ein Fiasko für Peter Zadek. Als der Theaterregisseur seinen Antikriegsfilm „Der Pott“ am 12. Januar 1971 erstmals im WDR laufen ließ, ergab eine Umfrage des Münchner Infratest-Instituts die Bewertungsnote „minus 4“ für den Film, circa 70 Prozent der Zuschauer reagierten negativ auf seinen Stilbruch. Dabei wollte Zadek doch nur das Fernsehen revolutionieren. Anstatt sich althergebrachten Stilkonventionen anzupassen, wagte er sich an elektronische Verfremdungstechniken wie etwa das Bluescreen-Verfahren.

An diesen Versuchen beteiligten sich auch andere Künstler, die ebenso alle technischen und künstlerischen Möglichkeiten des Fernsehens ausloten wollten. Genau diesem experimentellen Fernsehen hat die Deutsche Kinemathek in Berlin nun eine Ausstellung gewidmet. Noch bis zum 24. Juli wird das Publikum in den sieben Themenfeldern „Theater“, „Klassische und Neue Musik“, „Kunst“, „Schwarzweiß“, „Pop Art“, „Werbung“ und „Außerirdisch“ in die wilde Welt der 60er und 70er Jahre zurückversetzt.

Projektionen, Monitore und Flachbildschirme sorgen für ein buntes Flimmern und Rauschen in den Ausstellungsräumen. Da gibt es beispielsweise ein televisuelles Lagerfeuer von dem Filmemacher Gerry Schum, das im Dezember 1969 – passend zur beschaulichen Weihnachtszeit – für circa drei Minuten nach Sendeschluss in den deutschen Wohnstuben leuchten durfte. Doch mit seinen für das Fernsehen gedrehten 16-mm-Filmen, die unter der Mitwirkung verschiedener Künstler den schlichten Entstehungsprozess von Kunst zeigten, scheiterte Schum schließlich an der Experimentierunfreudigkeit der Programmverantwortlichen.

Weniger spießig zeigten sich damalige Musikgrößen. Die junge Vicky Leandros stellte sich und ihren Gesang dem Pop-Experiment „Ich Bin“ zur Verfügung, in der Musik-Show „Beat-Club“ sangen The Who oder Tina Turner und in der popartigen Fernsehshow „IDEA“ traten die Bee Gees in Einklang mit grafischen Elementen auf. Pop Art fand Ende der 60er Jahre aber auch in der Werbung Kundschaft. Mit seinen „Super-sexy-mini-flower-pop-op-cola-alles ist in Afri-Cola“-Werbeclips verknüpfte Charles Wilp seine künstlerischen Vorstellungen mit den gesellschaftlichen Belangen der Jugendlichen und zeigte, dass Fernsehen auch Lebensgefühle erwecken kann.

Getrieben von neuen Ideen und Formaten, bestimmte das Fernsehen in den nächsten Jahren zunehmend den Alltag der Deutschen. Und ihr Bewusstsein, wenn man dem kanadischen Philosophen Marshall McLuhan Glauben schenken kann. In seinem Klassiker „Das Medium ist die Botschaft“ schrieb er: „Die Erweiterung irgendeines Sinnes verändert die Art und Weise, wie wir denken und handeln – die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen. […] Wenn diese Verhältnisse sich ändern, dann ändern sich die Menschen.“

Diese Verhältnis- und Verhaltensveränderung erkannte zehn Jahre später auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Um die deutsche Bevölkerung vor der bösen Macht des Fernsehens zu bewahren, schrieb er im Mai 1978 in der Zeit ein Plädoyer für einen TV-freien Tag: „Zunächst wird das für viele Fernsehzuschauer schwierig sein. Aber ich denke mir, man wird sehr bald auch positive Erfahrungen machen: mit mehr Gespräch, mit mehr Kreativität, mit mehr Umgang mit den eigenen Kindern, mit Freunden und Nachbarn.“

Ein vergeblicher Appell: Heute liegt der durchschnittsdeutsche Fernsehkonsum bei etwa dreieinhalb Stunden pro Tag, die Macht des Mediums ist weiterhin gewachsen. Hingegen hat die Kreativität und Experimentierfreudigkeit im Vergleich zu den 1960er und 70er Jahren leider abgenommen. Vielleicht sollten gegenwärtige Fernsehmacher einfach mal wieder bereit zu einem Fiasko sein.