Ausnahme Bleiberecht

Auch mit dem neuen Bleiberecht hat sich für die allermeisten Flüchtlinge in NRW nichts geändert: Sie werden bloß geduldet. Nur jeder Achte konnte seinen Aufenthalt seither dauerhaft sichern

AUS ESSEN NATALIE WIESMANN

In NRW profitieren nur wenige geduldete Flüchtlinge vom neuen Bleiberecht. Ein halbes Jahr nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz zogen Flüchtlingsorganisationen, Anwälte und Städte am Dienstagabend auf einer landesweiten Konferenz in Essen negative Bilanz: Nur 3.000 der insgesamt 54.000 Geduldeten in NRW haben bis jetzt ein Aufenthaltsrecht.

Nach langer Diskussion hatten die Innenminister im November 2006 ein Bleiberecht beschlossen. Es sollte Geduldeten, die lange und unbescholten in Deutschland leben und deren Kinder integriert sind, eine sichere Perspektive schaffen. Doch gerade für Familien erweist sich als große Hürde, dass sie ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe bestreiten müssen: Das Land fordert, dass sie dafür zehn Prozent über dem Hartz-IV-Satz verdienen. Eine Familie mit drei Kindern muss demnach 2.500 Euro netto im Monat erarbeiten. „Das ist praktisch unmöglich“, so Frank Stein, Sozialdezernent der Stadt Leverkusen.

24.000 Geduldete in NRW hatten bis Ende April ein Bleiberecht beantragt, knapp die Hälfte der Anträge wurden von den Ausländerbehörden bearbeitet. Nur knapp 3.000 müssen vorerst keine Abschiebung befürchten. Etwa 15 Prozent der Anträge wurde abgelehnt. Zwei Drittel der Bittsteller sind wie bisher geduldet, müssen für einen sicheren Aufenthaltsstatus einen Arbeitsplatz finden oder einen Pass besorgen. Dafür will ihnen die Innenministerkonferenz (IMK) nur bis Ende September Zeit lassen. Der Gesetzentwurf der großen Koalition, der den Beschluss ablösen soll, ist kulanter: Er sieht vor, die Deadline bis Ende 2009 zu verlängern.

Trotz dieser Aussicht macht sich Stein Sorgen um die 80 Anspruchsberechtigten in Leverkusen: „Wenn ich mir anschaue, wie viele Menschen ohne Migrationshintergrund ihr Gehalt mit staatlicher Hilfe aufstocken müssen, bin ich pessimistisch“, so der Dezernent. Für Geduldete sei die Suche nach einer gut bezahlten Arbeit ungleich schwerer. Er plane deshalb bei den Firmen vor Ort „Klinken zu putzen“, um sie in Festanstellung zu bringen.

Stein hatte alle aussichtsreichen Kandidaten direkt nach dem IMK-Beschluss angeschrieben. „Das ist vorbildhaft, in anderen Kommunen sind die Betroffenen kaum informiert worden“, beklagt Flüchtlingsanwalt Klemens Roß. In Essen habe es bisher keine einzige Anerkennung gegeben. Er kritisierte zudem die geltende Sippenhaft: „Wenn die Eltern Behörden getäuscht haben, können auch die Kinder kein Bleiberecht erhalten.“

Stefan Keßler, Vorsitzender des Flüchtlingsrats NRW, monierte, dass das Land den IMK-Beschluss durch Erlasse noch weiter verschärft habe. Außerdem habe die Stichtagsregelung den negativen Effekt, „dass ich mich in ein paar Jahren wieder mit Landes- und Bundespolitikern um neue Altfälle prügeln muss.“

Nur Karl Peter Brendel, Staatssekretär im Innenministerium, kann der neuen Regelung Positives abgewinnen: „Bei der letzten Flüchtlingskonferenz im September hätten wir doch niemals gedacht, dass wir heute ein Bleiberecht haben würden“, sagte er in Essen.