Arche, von Wind durchpfiffen

AUFSTIEG Einst Architektur-Sensation, nun Schauplatz einer aufschlussreichen Begehung: das Kunstprojekt „L’Invenzione dell’Ascensore“ im niederländischen Expo-Pavillon in Hannover

Je höher man steigt, desto deutlicher wird: Die Utopie des Pavillons scheint seinen Verfall zu überleben

Anna Rispoli ist Expertin für verlassene Utopien. Die Italienerin arbeitet im Stadtraum, sie spürt die Besonderheiten seltsamer Orte auf. Rispolis Fahrzeug- und Lichtchoreografien entdecken das Eigenleben von Dingen, Gebäuden und urbanen Situationen, machen sichtbar, dass es möglich ist, Stadt nicht nur als sozio-ökonomisches Geflecht zu denken, sondern auch als Spiel- und Bewegungsraum.

Gemeinsam mit den einheimischen Künstlern Lotte Lindner und Till Steinbrenner haucht sie nun beim internationalen Festival Theaterformen in Hannover einem verlassenen Gebäude neues Leben ein: dem Holländischen Pavillon, einem Überbleibsel der Expo 2000.

Dieser seltsame, so spartanische wie futuristische Bau galt seinerzeit als Sensation der Weltausstellung, und das architektonisch wie ökologisch. Seine vier größtenteils offenen Plattformen schaffen öffentlichen Raum in der Vertikalen, beispielsweise einen Wald in der dritten Etage, eine Windkraftanlage auf dem Dach gewährleistete eine autarke Energieversorgung. So sollte der Bau die Landschaft der Niederlande, aber auch ihre Politik repräsentieren: wohlhabend, demokratisch, zukunftsgewandt.

Heute mag eine rechtskonservative Regierung eifrig dabei sein, diese Errungenschaften einzureißen – der Pavillon aber hat Heimweh. Er sehne sich nach der holländischen Bucht, die er nur aus Erzählungen kenne, wispert eine Stimme. Zu einem ebenso melancholischen wie informativen Audiospaziergang laden die drei Künstler, der dem Gebäude selbst eine Stimme verleiht.

In Gruppen wird das Publikum mit Kopfhörern ausgestattet, dann geht es den 40 Meter hohen Turm empor, der am Rande des Ausstellungsgeländes verfällt. Entgegen dem Titel des Abends allerdings, „L’Invenzione dell’Ascensore – Die Erfindung des Fahrstuhls“, geschieht das die Treppensteige hinauf, denn die Fahrstuhlkabinen sind schon lange demontiert.

Was einst als zukunftsweisende Architektur gefeiert wurde, schätzen nun vor allem Biker, die auf den Stahlbetonhügeln des Erdgeschosses ihre Sprünge machen. Sie begrüßen die Besucher mit halsbrecherischen Tricks, während eine Stimme mit schwerem niederländischem Akzent raunt: „Lass mich erzählen, wie alles angefangen hat.“

Die Audiospur ist eine poetisch-feine Erzählung, verbunden mit einer Klangcollage aus Umgebungsgeräuschen wie Baustellenlärm, Gräserrauschen und Verkehr. Der Pavillon erzählt seine Geschichte, rollt Ereignisse aus der Umgebung anekdotisch auf, verortet den Besucher an diesem Unort zwischen Landschaftspark und Industriegebiet.

Inszenierte Momente und eigene Beobachtungen verschmelzen. Je höher man steigt, desto deutlicher wird, dass die Utopie des Pavillons seinen Verfall zu überleben scheint. In den Bäumen des Waldes nisten Vögel, sanft schmiegt sich der sandige Boden an die Füße des Besuchers. Unter einer Treppe haben sich Obdachlose aus Ästen und Planen ein Haus gebaut, gelegentlich feiert irgendwer hier Partys. Einladend ist diese Ruine, und der öffentliche Raum, den der Turm schaffen sollte, ist entstanden. Auch Schutzort möchte er heute noch sein: „Wenn die Welt untergeht“, wispert er, „sollen wir zu ihm kommen.“

Beim Aufstieg zur obersten Plattform dann fällt der Blick auf Superman, der tief unten am Boden herumläuft. Da bleiben wir doch lieber auf der hohen, vom Wind durchpfiffenen Arche, die eine gewaltige Aussicht über ganz Hannover bietet, dazu launige Betrachtungen darüber, was Robbie Williams in der nahe gelegenen Tui-Arena tat und was Prinz Ernst-August von Hannover im türkischen Pavillon.

„L’Invenzione“ ist kein bloßer Abgesang auf ein verrottendes Gebäude, sondern öffnet den Blick für städteplanerische Zusammenhänge und Nutzungsweisen. Solche allerdings, die in keiner Stadtplaner- oder Architekten-Agenda vorkommen. ESTHER BOLDT

bis 3. 7., täglich 21 Uhr. www.theaterformen.de