Eine universelle Geschichte

GRAPHIC NOVEL Der US-Comicautor James Sturm präsentiert im Neuköllner Heimathafen seine neue Graphic Novel „Markttag“. Eine Erzählung über einen jüdischen Teppichknüpfer, dessen ökonomische Existenz bedroht ist

Sturms grafischer Stil ist äußerst reduziert. Mit klaren Strichen beschwört „Markttag“ eine untergegangene Welt herauf. Es ist atmosphärisch dicht und schnörkellos erzählt

VON STEFFEN VOGEL

Den Druck des Marktes kennt James Sturm gut. Zwar kann der gebürtige New Yorker von seinen Comics leben, doch viele seiner Bekannten hätten sich aus finanziellen Gründen von der Kunst verabschieden müssen, erzählt er. Seine jüngste Graphic Novel, „Markttag“, versteht er daher nicht nur als historische Erzählung, auch wenn sie im Osteuropa der Zwischenkriegszeit spielt. Handelt der soeben bei Reprodukt erschienene Band doch von dem Teppichknüpfer Mendelmann, der seine kunstvoll gefertigten Arbeiten plötzlich der Konkurrenz industrieller Massenware ausgesetzt sieht. Das sei eine universelle Geschichte, betont Sturm bei der Präsentation seines Werks im Studio des Heimathafens in Neukölln.

Kunstvolle Muster

Sturms Protagonist legt sein ganzes Können in jeden Teppich. In den Mustern will er Mensch, Natur und das Göttliche in ihnen ausdrücken. Doch der einzige Händler, der solche Handwerkskunst zu schätzen weiß, geht in den Ruhestand. Nach stundenlangem Umherirren über den immer feindseliger scheinenden Markt verkauft Mendelmann schließlich zum Dumpingpreis an ein Warenhaus. Eindrücklich entfaltet Sturm das innere Drama eines Menschen, der seine Fähigkeiten entwertet sieht und um seine wirtschaftliche Zukunft bangen muss.

Ursprünglich, erzählt Sturm, wollte er seinen Protagonisten auf einen afrikanischen Markt schicken. Den Ausschlag für Osteuropa gaben historische Fotos, die den Zeichner in ihren Bann schlugen. Die Aufnahmen aus den dreißiger Jahren zeigen den Alltag von Menschen, die, wie Sturm sagt, „besser sind als die Umstände, die sie vorfinden“. Diese visuellen Eindrücke lieferten die Inspiration zu „Markttag“. Das spiegelt sich in der Detailtreue des Bandes, etwa was gezeichnete Mode, Werkzeuge und angepriesene Waren betrifft.

Sturms Begeisterung macht aus dem Auftritt im Heimathafen mehr als eine Comicpräsentation. Mit Laptop und Beamer nimmt er sein Publikum mit auf eine Reise durch die Entstehung seines Bandes. Während seines übersprudelnden Vortrags wirft er ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Fotos an die Wand, gefolgt von eigenen Nachzeichnungen dieser Motive und schließlich den fertigen Comicpanels.

Drei bis vier Jahre Arbeit investiert der 45-Jährige in Alben wie „Markttag“. Zunächst müsse er die historischen Fotos „auftauen“, sagt Sturm. Er will sich in die Alltagswelt seiner Figuren versetzen, von der die Bilder nur Momentaufnahmen einfrieren. Also sucht er nach Identifikationspunkten. In seinem Protagonisten Mendelmann erkennt Sturm eine verwandte Seele. Ähnlich wie der Teppichknüpfer füge der Cartoonist Dinge zusammen und müsse seine Kunst zu Markte tragen.

Bei aller Universalität seiner Geschichte fühlt sich Sturm auch als Jude den Menschen auf diesen Fotos nahe. Um mit den Aufnahmen arbeiten zu können, müsse er sie aber „vom Schatten des späteren Schicksals dieser Menschen befreien“. Das Wissen um den Holocaust bestimmt den Blick auf diese Bilder, soll aber nicht die Geschichte überformen.

Sturm mag in der Literatur wie im Comic keine Überzeichnungen. Zu viel Bildinhalt lasse der Fantasie keinen Raum zur Entfaltung. Sein grafischer Erzählstil ist daher äußerst reduziert. Mit klaren Strichen beschwört er eine untergegangene Welt herauf. Gekonnt nutzt er eine Palette gedeckter Farben, um die Hochs und Tiefs der Stimmung seines Protagonisten in seiner Wahrnehmung der Außenwelt zu spiegeln. „Markttag“ ist atmosphärisch dicht und dabei schnörkellos erzählt. Eine bittere, aber unsentimentale Geschichte.

Engagierter Kleinverlag

Passenderweise veröffentlicht Sturm seine eigenen Arbeiten bei dem engagierten Kleinverlag Reprodukt. Dort fühlt er sich gut aufgehoben. Bei den etablierten Häusern, findet Sturm, fehle zunehmend die Bereitschaft zu ökonomisch riskanteren Arbeiten. Und auf den Vormarsch digitaler Vertriebswege reagierten die US-Großverlage schlicht ratlos. Ausgenommen sei lediglich das Superheldengenre. Diese heroic pornography funktioniere konjunkturunabhängig.

Seinem freundlichen Spott zum Trotz ist auch Sturm in seiner Jugend stark von den Marvel-Comics geprägt worden und hat selbst einen Abstecher in dieses Genre unternommen. Sein Hauptinteresse gilt aber historischen Stoffen wie etwa in „The Golem’s Mighty Swing“, einer Geschichte über ein jüdisches Baseballteam. „Markttag“ ist seine erste deutsche Veröffentlichung. Dem hiesigen Publikum steht also noch die ein oder andere Entdeckung bevor.

■ James Sturm, „Markttag“. Reprodukt, Berlin 2011, 96 Seiten