Keine Alternative zum Frust

Müntefering disst Merkel – und die NRW-SPD reagiert ratlos. Die große Koalition steht für die Genossen im größten Landesverband nicht zur Debatte: „Merkel ist doch nicht das Problem“

VON MARTIN TEIGELER

Der Wutanfall sorgt für Kopfschütteln und Ratlosigkeit. Franz Müntefering hat mit seiner jüngsten Attacke auf Angela Merkel ein Vermittlungsproblem bei sozialdemokratischen Funktionsträgern aus NRW. „Ich weiß auch nicht, was ihn da geritten hat“, sagt ein Parlamentarier. „Das wollen wir nicht kommentieren“, heißt es aus dem Büro eines lang gedienten Bundestagsabgeordneten.

Mit einer Blut-, Schweiß- und Merkel-Rede hatte der immer noch prominenteste NRW-Sozialdemokrat zuvor versucht, das innerparteiliche Unbehagen über die Arbeit der großen Koalition aufzufangen. „Ich will nicht bestreiten, dass die Zweifel wachsen, ob man sich auf alle Beteiligten in dieser Koalition verlassen kann“, sagte der Vizekanzler, Bundesarbeitsminister und Sauerländer Franz Müntefering gestern der Frankfurter Rundschau. Über die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel maulte der NRW-SPD-Listenführer: „Gerd Schröder war aus guten Gründen immer zuerst Kanzler, das Ganze im Blick. Auch als Parteichef war er immer zuerst Kanzler. Das ist jetzt in der großen Koalition anders. Oft gibt es zu viel Parteiprofilierung.“

Im größten Landesverband überwiegt die Einschätzung, dass Müntefering mit seinen Angriffen eher auf die eigene Parteibasis zielt und weniger auf die Union. „Der Franz weiß auch, dass Merkel doch nicht das Problem ist“, sagt ein SPD-Bundestagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Bei Parteiveranstaltungen werde die Berliner Regierungsarbeit insgesamt kritisiert – und nicht die CDU-Kanzlerin im Speziellen. Den größten Ärger gebe es wegen der Rente-erst-ab-67-Reform, die ja von Müntefering selbst durchgezogen wurde. „Unpopulär ist auch die Unternehmenssteuerreform von Peer Steinbrück“, berichtet der Abgeordnete. Die Menschen verstünden nicht, warum Großunternehmen steuerlich entlastet werden sollen.

Die Koalitionsfrage stellt kaum jemand aus der Landes-SPD. „Es gibt keine Sehnsucht nach Opposition“, sagt die Wittener Bundestagsabgeordnete Christel Humme. „Was Opposition bedeutet, sehen wir ja gegenwärtig in Nordrhein-Westfalen“, so die Familienpolitikerin. Was die Regierung Rüttgers derzeit an Veränderungen etwa im Schulbereich durchdrücke, sei später nur noch schwer zu korrigieren. „Die Partei weiß, dass sie im Bund weiter regieren muss – auch wenn es hart ist“, sagt die Sozialdemokratin aus dem Ruhrgebiet. Zudem gebe es „unterschiedliche Erwartungshaltungen“ in Partei und Bevölkerung. Während die SPD mehr sozialdemokratische Inhalte wolle, verlange die Bevölkerung „Lösungen“ bei Rente, Familienpolitik und Steuern. „Die Leute wollen, dass wir vernünftig regieren“, sagt Humme.

„Es gibt keine Alternative zur Übergangslösung große Koalition“, sagt die Bundestagsabgeordnete Ingrid Arndt-Brauer aus dem Münsterland. Zudem sei die Bundespolitik nicht bei allen unbeliebt. „Ich bin Jahrgang 1961 – bei Angehörigen meiner Generation bekomme ich Lob für die Rentenreform“, sagt sie. Es sei eine wichtige Aufgabe, die Rentenversicherung zu modernisieren. Nach der nächsten Bundestagswahl hofft Arndt-Brauer auf ein Comeback von Rot-Grün.

Von NRW-SPD-Landeschefin Hannelore Kraft war gestern keine Stellungnahme zur aktuellen Koalitionsdebatte zu bekommen. Landesvorstandsmitglied Dietmar Köster sagt: „Es gibt in der Partei bei vielen die Sorge, dass unser Profil nicht erkennbar ist.“ Die SPD müsse deutlicher sagen, wenn sie in der großen Koalition erfolgreich war, so der Vorsitzende des Unterbezirks Ennepe-Ruhr. „Die Familienpolitik ist unser Verdienst – und nicht das von Ursula von der Leyen.“ Bei anderen Themen müsse mehr Distanz zum Koalitionspartner her, so Köster. „Was der Schäuble vor dem G8-Gipfel macht, geht nicht.“ Die SPD müsse das Demonstrationsrecht zur Not gegen die CDU verteidigen.