Bremerhavens Rebellion

STATISTIK Die Stadt Bremerhaven klagt gegen die Freie Hansestadt Bremen – sie habe mehr Einwohner als beim Zensus hochgerechnet wurde. Der Prozess war auch ein Lackmustest für den Datenschutz

Für das Ergebnis des Zensus wurden Stichproben mit Registerdaten abgeglichen, doppelte Anschriften aussortiert.

■ In Bremerhaven wurden 5,5 Prozent aller Haushalte befragt.

■ Das Melderegister verzeichnete bis dato 112.345 EinwohnerInnen.

■ Für den Stichtag 9. 5. 2011 ergab sich aus dem Zensus eine neue Zahl von 108.156 BewohnerInnen.

Die Begegnung im Sitzungssaal 4 des Justizzentrums am Wall hatte am Montag schon etwas Ungewöhnliches: Die Stadt Bremerhaven klagte da vor dem Verwaltungsgericht gegen die Freie Hansestadt Bremen, die Gemeinde also gegen das Land. Gestritten wurde um Bremerhavens Einwohnerzahl. Die war im Juni 2013 als Ergebnis des Zensus vom Statistischen Landesamt auf genau 108.156 EinwohnerInnen festgelegt worden, über 4.000 weniger als bisher. Bremerhaven sagt nun, es sei um mindestens 2.000 EinwohnerInnen größer.

Doch – warum um die Statistik streiten? Weil es um Bares geht: Für Bremerhaven um etwa 400.000 Euro, die eine erhöhte Einwohnerzahl jährlich an Landeszuwendungen ausmachen könnte. Zudem veränderten sich die Berechnungen bei Bau und infrastrukturellen Planungen, ebenso Wahlkreis-Größen und so weiter. Auch andere Gemeinden klagen deshalb, in Bremen ging’s erstmals vor Gericht.

Auf die Probe gestellt wurde im Prozess dabei auch der Datenschutz – mit beruhigendem Ergebnis. Die Vertreter der Stadt Bremerhaven nämlich hätten gern genau nachvollzogen, wie das Statistische Landesamt auf seine Zahlen kommt. Im Juli 2012 hatte man in der Bremerhavener Ausländerbehörde die Akten durchforstet und 11.805 AusländerInnen gezählt, 2.495 mehr als das Statistische Landesamt im Zensus errechnet hat. Personenbezogene Daten aus den Zensus-Erhebungen sind jedoch bereits gelöscht, ganz wie gesetzlich vorgeschrieben. Und die noch vorhandene Adresslisten ließen die Richter als Beweise nicht zu – wiederum aus Gründen des Datenschutzes. Eine Prüfung des „Einzelfalls Bremerhaven“ ist damit vor Gericht quasi ausgeschlossen – womit nun die verfassungsrechtliche Legitimität und statistische Methodik des Zensus als Ganzes auf dem Prüfstand steht.

Und da sieht der Sachverständige Helmut Küchenhoff, Statistik-Professor der Uni München, durchaus einige Probleme. Besonders bei der Messung, also der Befragung durch die Angestellten, seien mögliche Fehler nicht systematisch genug berücksichtigt worden. Was das am Ende ausmache, könne man nicht beziffern. Nun berät das Gericht. Eine Entscheidung soll in den nächsten Wochen schriftlich erfolgen, ein Gang in die nächste Instanz gilt als sicher.  jpb