Die Projektionsfläche

Der Stadionsprecher im Weserstadion kündigte Viktor Skripnik stets als „Beckham der Ukraine“ an. Der 44-Jährige verstand die Ironie, die im Vergleich mit dem weltbekannten Unterhosenmodel steckte: „Das kann nur ein Witz gewesen sein. Von mir kommt das nicht.“ Tatsächlich war Skripnik auf dem Platz als bodenständiger Arbeiter und Abwehrspieler, nicht jedoch für Traumtore und Zaubertricks bekannt – in 164 Spielen für Werder erzielte er ganze sieben Tore.

Daraus, dass er als Cheftrainer dennoch hoch hinaus will, machte Skripnik bei seiner ersten Pressekonferenz keinen Hehl: „Jeder Soldat will General werden, jeder Trainer Bundesliga-Trainer sein.“ Der martialische Satz lässt Werder-Fans hoffen, dass in dem Ukrainer mehr Fußballsachverstand als rhetorische Treffsicherheit steckt.

Die Projektionsfläche, die der ehemalige Publikumsliebling bietet, ist nicht nur aufgrund der hohen Stirn groß: Erste Vergleiche zu Thomas Schaaf werden bereits gezogen. Der hatte die Mannschaft 1999 auch in einer sportlichen Krise übernommen und war wie Skripnik zuvor Amateurtrainer der U 23. Schaaf sicherte in einem denkwürdigen Saisonendspurt den Klassenerhalt, gewann kurz darauf sogar den DFB-Pokal und blieb rekordverdächtige 14 Jahre im Amt. Viktor Skripnik, damals selbst fünf Jahre lang Profi unter Schaaf, sagt: „Er hat mir gezeigt, wie Fußball funktioniert.“

Entsprechend groß sind die Vorschusslorbeeren der Fans. Über 500 begrüßten den neuen Cheftrainer bei seinem ersten Training mit Applaus – nur rund 36 Stunden nachdem Vorgänger Robin Dutt mit Pfiffen vom Hof gejagt wurde.

Und während sich Dutt 2013 noch mit einem missglückten „Mon Mon, oder wie sagt man hier?“ vorstellte, ist Skripnik Werder-Fan, seitdem er 1983 als sowjetischer Jugendspieler das erste Mal den grün-weißen Mannschaftsbus im Trainingslager gesehen hatte. Jetzt darf er ganz vorne mitfahren.  GJO