Sternfahrer stecken im Stau

Gestern hatten 250.000 Radfahrer freie Fahrt. Fast: Denn trotz autofreier Straßen gab es stockenden Verkehr bei der weltweit größten Fahrrad-Sternfahrt. Auch weil die Teilnehmer immer jünger werden

VON NANA GERRITZEN

Das muss man selbst gesehen haben. Mit voller Geschwindigkeit fahren hunderte, tausende Radfahrer durch den kraftfahrzeugsverwaisten Autobahntunnel an der Grenzallee. Große und Kleine, Alte und Junge, Familien und Singles. Ein junger Vater hat seinen Säugling auf den Rücken gebunden. Eine ältere Frau hat im Fahrradkorb sogar ihren Hund dabei.

Unter dem Motto „Respekt für Radler“ fand gestern die traditionelle und weltweit größte Fahrrad-Sternfahrt statt. Von 18 verschiedenen Startpunkten in und um Berlin waren rund 250.000 Radfahrer losgefahren, um sich am Brandenburger Tor zum Umweltfestival der Grünen Liga zu treffen. „Die Stimmung ist hervorragend“, so der Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Benno Koch gestern Nachmittag. Weniger gut gelaunt waren einige Autofahrer. Wegen der Riesenradtour wurden nicht nur zahlreiche Kreuzungen, sondern auch die Stadtautobahn A 100 sowie die Avus (A 115) vorübergehend gesperrt. Auch an der Neuköllner Karl-Marx-Straße waren statt Sonntagsausflüglern in Autos gestern meilenweit nur Fahrräder zu sehen. Da sich hier vier Radtouren aus dem ganzen Nord- und Südosten Berlins treffen sollten, um gemeinsam über die Autobahn zu fahren, stand man zwischendurch sogar in einem kleinen Fahrradstau.

„Eigentlich ist es keine Sternfahrt, sondern ein Sternstehen“, beschwerte sich ein kleiner Junge bei seiner Mutter. Während die Radfahrer die lange Wartezeit nur mit gemeinschaftlichen Klingelchören kommentieren, sind einige Autofahrer schon sehr genervt. Viele von ihnen hupen und schimpfen – ein Motorradfahrer versucht sich durch die kilometerlange Radlerschlange zu drängeln.

„Das ist schon erstaunlich, dass die Autofahrer sich nach 20 oder 25 Jahren Sternfahrt immer noch nicht daran gewöhnt haben“, bemerkt André Kaden vom ADFC. Kaden selbst fährt das dritte Mal als Ordner mit. Seine Aufgabe ist es, die Radtour auf und ab zu fahren und zu helfen, falls jemand Probleme hat. An seinem knallorangen T-Shirt mit der Aufschrift „Security“ und der großen weißen ADFC-Fahne am Fahrrad kann ihn jeder, der Hilfe braucht, erkennen.

Als es nach der Fahrt über die A 100 schon wieder stockt, reagieren auch einige Radfahrer genervt. „So schlimm war es noch nie“, schimpft Ulrich Schulz. Der 57-Jährige fährt seit vier Jahren mit und vermutet, dass die Organisation mit den vielen Teilnehmern nicht mehr fertig wird. Und er wundert sich, dass zunehmend Eltern auch mit sehr kleinen Kindern unterwegs sind. „Das ist viel zu gefährlich, so kleine Kinder auf eigenen Rädern durch den Tunnel zu lassen“, meint er. Das sei schon für Erwachsene eine große Herausforderung.

Auf die jungen Familien will Kaden dagegen nicht verzichten. Schließlich sei die Sternfahrt keine Leistungs- oder Sportveranstaltung, sondern ein Ereignis für alle, die gerne Rad fahren. Einen autofreien Tag sollte es seiner Meinung nach öfter geben. „Berlin ist normalerweise keine fahrradfreundliche Stadt.“ Es gebe nicht genügend Fahrradwege, und gerade auf der Sternfahrt-Strecke sei der Verkehr normalerweise so dicht, dass man als Radfahrer nicht sicher ans Ziel käme. „Heute gehört die Straße uns“, so Kaden. „Aber hinter dem letzten Polizeiauto gilt wieder die Straßenverkehrsordnung.“